Plus 20 Prozent, plus 13 Prozent, plus 56 Prozent: So viel haben im Schnitt die Aktien im deutschen Leitindex DAX, im breit gestreuten MSCI World Index und im ägyptischen EGX 30 im Verlauf des Jahres an Wert gewonnen. Keine schlechte Bilanz für ein Krisenjahr. An einem Großteil der privaten Anleger in Deutschland ist diese Entwicklung jedoch vorübergegangen. Im ersten Halbjahr 2012 zogen sie knapp über sechs Milliarden Euro aus Aktienfonds ab und steckten ihr Geld lieber in festverzinsliche Wertpapiere, wenn sie es nicht zu kümmerlichen Renditen auf Tagesgeldkonten parkten. Der Wunsch nach einer Anlage mit möglichst geringem Risiko ist verständlich in einem Jahr, das von schlechten Wirtschaftsnachrichten dominiert wird: der globale Konjunkturrückgang, die drohende Zahlungsunfähigkeit einzelner Euro-staaten, die Notwendigkeit immer neuer geldpolitischer Maßnahmen von den Notenbanken. Doch für einen langfristigen Vermögensaufbau sind rein defensive Anlagestrategien wenig Erfolg versprechend.

Dramatisch veränderte Welt
Wie sollen Anleger auf die veränderten Bedingungen reagieren? Wie muss ein Depot im Jahr der Krisen und des Börsenaufschwungs aussehen? €uro am Sonntag hat dazu die Investmentstrategen von fünf großen institutionellen Vermögensverwaltern befragt. State Street Global Advisors, BlackRock, Pimco, Allianz Global Investors und Fidelity Worldwide Investment verwalten umgerechnet fast fünf Billionen Euro weltweit. Das Wort dieser Experten hat Gewicht, sie bewegen mit ihrer geballten Finanzkraft die Märkte. Zwei Anlagegrundsätze lassen sich trotz aller Unterschiede aus unserer Umfrage ableiten: Erstens, Diversifikation ist wichtiger denn je. Zweitens, Risikoanlagen gehören trotz aller Krisenängste ins Portfolio. Denn die Investmentwelt hat sich dramatisch verändert. „Wir stehen vor einer lang anhaltenden Phase mit geringem Wachstum. Sowohl der Ertrag von Aktien als auch von Anleihen wird dadurch ausgebremst“, propagiert Pimco-Chef und Anleiheguru Bill Gross und spricht von der „neuen Normalität“. Nicht nur, dass alte Grundsätze wie die geringe Korrelation zwischen bestimmten Assetklassen in den vergangenen Krisen ihre Gültigkeit verloren haben. Offen wird nun über eine Zeitenwende gesprochen. „Die Anleger müssen verstehen, dass sie in einer Phase der finanziellen Repression leben“, sagt Andreas Utermann, Anlagechef bei Allianz Global Investors. Soll heißen: Staaten greifen auch mithilfe der Notenbanken aggressiv in den Markt ein, um ihre Finanzierungskosten künstlich niedrig zu halten — zulasten von Anlegern und Sparern.

Bereits jetzt ist die Rendite sicherer Staatsanleihen wie US-Treasuries oder Bundesanleihen unterirdisch. Nach Zusagen wie der von Fed-Chef Ben Bernanke, die Zinsen bis mindestens 2014 auf niedrigstem Niveau zu belassen, ist in dieser Hinsicht auch bis auf Weiteres keine Veränderung zu erwarten. Und neue Regeln der Finanzmarktaufsicht zwingen Versicherungen, Banken oder Pensionskassen, Staatsanleihen trotz der niedrigen Zinsen gegenüber Unternehmensanleihen oder Aktien zu bevorzugen. Mit der Konsequenz, dass die Rendite in den kommenden Jahren unter der Inflationsrate liegen dürfte. Nur wer die Ertragschancen anderer Anlageklassen konsequent nutzt, kann dem Niedrigrenditeumfeld etwas entgegenhalten.

Sichere Häfen sind trügerisch
Zu einer langfristig erfolgreichen Strategie zählen daher in jedem Fall auch scheinbar risikobehaftete Investments. „Schwellenländeraktien gehören in jedes Portfolio“, sagt beispielsweise Rick Lacaille, Global Chief Investment Officer bei State Street Global Advisors. Auch besser verzinste Anleihen der aufstrebenden Volkswirtschaften und Rohstoffe sollten berücksichtigt werden. Dagegen hat nicht nur Lacaille sichere Häfen wie Staatsanleihen der Industriestaaten untergewichtet. Denn Safe-Haven-Investments sind ebenfalls mit Risiken behaftet. So drohen deutschen Staatsanleihen starke Kursverluste, sollte sich die Situation in der Eurozone normalisieren. Anleger würden dann in großem Stil Mittel aus den Bunds abziehen. „Vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise müssen alte Vorstellungen von Rendite und Risiko grundlegend überdacht werden“, sagt Andreas Feiden, Leiter des deutschen Privatkundengeschäfts bei Fidelity Worldwide Investment. Alle fünf Vermögensverwalter sind sich daher einig: Anleger dürfen sich die Chancen auf dem Aktienmarkt nicht entgehen lassen. Die Maßnahmen der EZB sollten helfen, die Märkte zu beruhigen. Zudem ist es unwahrscheinlich geworden, dass die Welt in eine globale Rezession gleitet. Vor diesem Hintergrund erscheinen Aktien auf Sicht der kommenden 18 Monate attraktiver.

Aggressiv gehen die Großinvestoren aber nicht vor. Denn die vergangenen Jahre haben ihre Spuren hinerlassen. So ist die Bedeutung des Risikomanagements enorm gestiegen: Statt auf Aktien mit hohem Schwankungspotenzial richten die Investmentprofis ihr Augenmerk auf Dividendentitel. Statt Buy & Hold verfolgen sie eine „taktische Asset-Allokation“. Das bedeutet zum Beispiel eine kürzere Haltedauer und das Ausnutzen zyklischer Marktschwankungen wie bei der Ankündigung neuer geldpolitischer Stimuli. Sie trieben die Aktienmärkte zuletzt häufig nach oben. Auffallend ist aber auch, dass die Superinvestoren bezüglich ihrer Anlageschwerpunkte oft unterschiedlicher Meinung sind. So sieht Senior Advisor Bob Doll von BlackRock das größte Potenzial in den USA: „Dort werden die Unternehmen, wenn auch langsam, weitere Arbeitsplätze schaffen. Das wird helfen, die Konsumausgaben stabil zu halten oder sogar zu beflügeln.“ Seine Sicht spiegelt sich in der Zusammensetzung des Fonds BGF Global Allocation wider: Fast 59 Prozent des Portfolios sind in Aktien investiert, fast 37 Prozent in nordamerikanischen Titeln wie zum Beispiel Apple, Oracle und General Electric.

Auch State Street hat Aktien aus Industrieländern und speziell US-Aktien leicht übergewichtet. Fidelity positioniert sich mit einem Aktienanteil von 43 Prozent nicht ganz so offensiv, investiert dafür aber insgesamt 13 Prozent der Anlagesumme in Schwellenländeraktien, vor allem aus China, Brasilien und Südkorea. Die Experten von Allianz Global Investors betonen dagegen, dass sie in Europa durch das Fortschreiten der Fiskal- und politischen Union große Chancen sehen. Zudem seien europäische Aktien im Vergleich zu US-Aktien günstiger. Strukturell halten sie Schwellenländer für attraktiv, vor allem chinesische Aktien, die deutlich billiger geworden sind.

Chancen bei Corporate Bonds
Auch bei Anleihen der Industriestaaten gehen die Meinungen der Profis auseinander. „Bei US-Staatsanleihen sind wir massiv untergewichtet, bei Unternehmensanleihen übergewichtet“, sagt Chris Probyn, Chefökonom bei State Street Global Advisors (siehe Interview). Die Strategen von BlackRock bevorzugen dagegen US-Treasuries gegenüber europäischen Staatsanleihen. Die wichtigste Rolle spielen aber auch hier die Corporate Bonds. „Investoren suchen nach alternativen Quellen für laufende Erträge, die bei Staatsanleihen momentan unergiebig ausfallen. Das dürfte die Kurse von Unternehmensanleihen weiterhin beflügeln.“ Die globalen Anlagespezialisten von Pimco engagieren sich in Lokalwährungsanleihen aus Brasilien, Mexiko und Südafrika sowie in Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern. Seit Kurzem empfiehlt Pimco-Chef Bill Gross auch wieder Papiere aus der Eurozone: Die Ankündigung der EZB, Staatsanleihen der Eurokrisenländer aufzukaufen, könnte für steigende Kurse sorgen. Die Wette auf Zentralbank-Interventionen ist für Gross bereits bei US-Hypothekenanleihen aufgegangen. Kurz laufende Papiere aus Italien und Spanien hält er für interessant. Auch bei Rohstoffen positionieren sich die Vermögensverwalter unterschiedlich: Pimco setzt mit 17 Prozent beim Global Multi-Asset Fund am offensivsten auf diese Anlageklasse. Neben Platin und Öl stecken fast zehn Prozent des Kapitals in Gold. Auch im BGF Global Allocation Fund von BlackRock taucht mit der goldbesicherten Anleihe SPDR Gold das gelbe Edelmetall auf, das als Kriseninvestment gilt und bei einer anziehenden Inflation weitere Preissteigerungen aufweisen dürfte. Fidelity reserviert sieben Prozent für eine breite Mischung von Rohstoffinvestments. Allianz Global Investors sieht auch bei Rohstoffen aufgrund wachsender Nachfrage aus Emerging Markets Chancen.