FondsDISCOUNT.de: Das Coronavirus hat längst auch zahlreiche Länder außerhalb Chinas erreicht, aktuell erlebt Italien sein eigenes „Wuhan“, in Deutschland nehmen die nachgewiesenen Fälle jetzt ebenfalls an Fahrt auf. Mögen Sie uns Ihre Einschätzung über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie skizzieren?
Stefan Riße: Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind in jedem Fall größer als sie von der SARS-, oder der Ebola-Epidemie ausgingen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Lieferketten noch viel globalisierter sind als 2003 als SARS ausbrach. Das Gewicht des Ursprungslandes China ist heute mit 16 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts vier Mal so groß wie damals. Wirtschaftlich entsteht der größte Schaden nicht bei der Krankheit, sondern bei den Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit, es werden z.B. Lieferketten unterbrochen. Eine weitere Auswirkung wird sich in rund 6 Wochen zeigen, wenn alle jetzt noch auf dem Seeweg befindlichen Waren ausgeliefert worden sind und nichts mehr nachkommt. Schon eine einzige nichtproduzierte Spezial-Schraube kann einen Auto- oder Flugzeughersteller lahmlegen. Auch die Medikamentenversorgung ist gefährdet, weil die Rohstoffe meistens in China produziert werden.
Der Ausbreitungsweg des Corona Virus ist (noch) unbekannt und die Sterblichkeitsrate von zwei Prozent (nach unserer Berechnung eher vier Prozent) ist ernst zu nehmen. Die Erkrankung ist schwerwiegender als eine Grippe. Nach dem normalen Lauf der Dinge liegt das Schlimmste in den ursächlich betroffenen Ländern hinter uns. In China scheint die Epidemie bewältigt zu sein. In Südkorea wachsen die Erkrankungszahlen schnell an. Aber vermutlich werden auch die Koreaner mit asiatischer Radikalität die Ausbreitung unterdrücken. Auch in Italien scheint die Abschottung gut zu funktionieren, in Mailand bleiben die Touristen weg. Iran ist ein isoliertes Land, von dem aus wahrscheinlich für die Welt keine große Gefahr ausgeht. Sorge machen jedoch die USA. Trump hat der Seuchenbekämpfung CDC 40 Prozent der Mittel gestrichen, hält das Coronavirus für einen schlechten Scherz, der von den Demokraten ausgedacht wurde, um ihm zu schaden, und sein Epidemie-Zar Mike Pence versucht es mit Beten. Wenn es aber in Amerika zu einer signifikanten Ausbreitung – gar Panik – kommen sollte, sind die wirtschaftlichen Folgen sehr hoch.
Wie können Anleger ihr Depot „impfen“?
Die Märkte reagierten überraschend spät. Zu Beginn des Jahres hat die Finanzbranche das stark verharmlost: "Ist ja nicht schlimmer als eine Grippe.“ Doch es ist bedeutend mehr. Wir haben generell große Sorge, dass die Welt auf Pandemien nicht gut vorbereitet ist. Deshalb haben wir schon vor Ausbruch der Epidemie in einigen Fonds Biotech- bzw. Pharmaunternehmen allokiert, z. B. die Gilead. Wichtig ist uns deren Innovationskraft im Bereich der Virostatika, d.h. Entwicklung von Wirkstoffen, die die Vermehrung von Viren stoppen. Denn Impfstoffe kommen im Regelfall zu spät. Ansonsten sollten Anleger einen kühlen Kopf bewahren. Die Krise wird die Weltwirtschaft scharf bremsen im ersten Quartal, aber dann wird es entsprechende Nachholeffekte geben. Außerdem werden die Notenbanken einmal mehr Liquidität bereitstellen, die dann längerfristig äußerst positiv auf die Aktienmärkte wirken sollte.
Gibt es bereits Auswirkungen in Ihren Aktienfonds? Planen Sie Umschichtungen in Ihren Portfolios, um Verluste zu vermeiden?
Wir haben Aktien mit großem Konsumfokus in China, die gut gelaufen sind – wie eine Apple und LVMH – frühzeitig reduziert. Ansonsten bleiben wir langfristig orientiert und halten an unseren Unternehmen fest, für die wir unverändert große Wachstumschancen in den kommenden Jahren sehen. Denn wir glauben, dass die Börse aktuell übertreibt. Ein Kursverlust von 15 Prozent ist deutlich höher als die erwarteten Produktionsausfälle in diesem Jahr. Wenn man pauschal zehn Tage Produktionsausfall kalkuliert, fehlen fünf Prozent des Bruttosozialprodukts, und zwar einmalig, während die Kurserwartung die komplette Zukunft abdiskontiert. Das ist eine klare Übertreibung des Marktes. Wir haben, wo wir konnten, zugekauft, insbesondere zwei chinesische Firmen.
Seit Mitte letzten Jahres haben Sie mit dem ACATIS QILIN Marco Polo Asien Fonds (ISIN: DE000A2PB655) auch einen schwerpunktmäßig in China investierenden Fonds im Programm. Hat der Virus-Ausbruch Auswirkungen auf Ihre Investitionsstrategie?
Die Anlagestrategie des ACATIS QILIN Marco Polo Asien Fonds konzentriert sich auf das langfristige Potenzial Chinas. Die Erfahrung zeigt, dass Virus-Epidemien eher geringe langfristige Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft wie auch auf die Kapitalmärkte haben. Wir haben mit SARS und zuletzt mit COVID-19 gesehen, dass die chinesischen Kapitalmärkte einem V-förmigen Muster folgen, mit einem starken anfänglichen Rückgang, gefolgt von einer schnellen Erholung innerhalb von wenigen Wochen. In diesem Umfeld bleibt unsere langfristige Perspektive auf Chinas Investitionspotenzial unverändert. Wir glauben an die zugrunde liegenden fundamentalen Wachstumstreiber und konzentrieren uns daher weiterhin auf wachstumsstarke Segmente und China-Champions. Dementsprechend ist unsere Investitionsstrategie sehr stabil. Dennoch glauben wir, dass es einige aufstrebende Sektoren gibt, die einen Schub von COVID-19 bekommen haben, der sie über einen „Mass Acceptance Inflection Point“ bringen wird. Wir beabsichtigen unsere Allokation in diesen Sektoren zu erhöhen. Dazu gehören die digitale Gesundheit und die Online-Bildung. Als Folge der Epidemie und der landesweiten Quarantäne gab es einen dramatischen Anstieg bei medizinischen Online-Diensten wie Online-Konsultationen, Rezepten und Folge-Diensten. Digitale Gesundheits-Apps und Plattformen erleben einen Boom.
In ähnlicher Weise war COVID-19 ein Segen für Online-Lernen. Schulen in China sind instruiert, Online-Lernen für Studenten zur Verfügung zu stellen. Chinesische Schüler können ihren Unterricht entweder über Live-Streaming online oder im Fernsehen verfolgen. Sie sind verpflichtet, Hausaufgaben online einzureichen. Viele haben sich auch für Online-Nachhilfe bei Online-Bildungsplattformen eingeschrieben.
Haben Sie bedingt durch Ihr Engagement in China auch Kontakte vor Ort bzw. anders gefragt: Können Sie uns etwas zu den Auswirkungen der Quarantäne-Maßnahmen auf die chinesischen Unternehmen sagen? Wie sehen die praktischen Maßnahmen aus, wie ist die Stimmung?
Unserer Researchpartner Qilin Capital hat täglich Kontakt mit seinen eigenen Mitarbeitern in China und darüber hinaus auch viele enge Kontakte zu McKinsey in China, zur Tsinghua Universität in Peking und zu unseren Portfolio-Unternehmen. Seit dem Ausbruch von COVID-19 gibt es sowohl obligatorische wie auch freiwillige Quarantäne-Maßnahmen. Es wird geschätzt, dass mindestens 150 Millionen Menschen in China unter staatlichen und 760 Millionen unter gemeinschaftlichen Beschränkungen standen. Zu diesen Maßnahmen gehören unter anderem das Verbot die Wohnung zu verlassen, das obligatorische Zeigen von Ausweisen, das Anmelden, die Temperaturkontrolle und die Zuweisung bestimmter Tage für Lebensmitteleinkäufe. Die Stimmung war dementsprechend schlecht. Die meisten Menschen haben sich an die Quarantäne gehalten und sind zu Hause geblieben. Sie arbeiten von zu Hause aus und bestellen online für Mahlzeiten und Lebensmittel. Die meisten Geschäfte und Fabriken wurden geschlossen. In den am stärksten betroffenen Städten wie Wuhan wurde der öffentliche und private Verkehr verboten. Personen, die reisen möchten, müssen sich in Gesundheits-Apps anmelden, die grüne, gelbe und rote Bewertungen zuweisen, um festzustellen, ob man frei reisen darf oder ob man in Quarantäne zu Hause bleiben muss.
Am 25. Februar hat Xi Jinping die Unternehmen dazu aufgefordert, die Produktion wieder aufzunehmen. Mehr als neun Provinzen haben die "Notstandsstufen" herabgestuft, um die Beschränkungen für die Bewegungsfreiheit aufzuheben. Bisher haben 95 Prozent der kritischen Branchen wie Kommunikation, Stromnetz, Transport, Erdöl, Petrochemie ihre Arbeit wieder aufgenommen. 80 Prozent der 23.000 Produktionsunternehmen der 96 zentralen Staatsbetriebe haben die Arbeit ebenfalls wieder aufgenommen. Lokale Regierungen haben sogar Züge, Flugzeuge und Busse gechartert, um Arbeiter zurück zu ihren Fabriken und Unternehmen zu bringen, um die Produktion wieder in Gang zu bringen.
Infolge der zunächst strengen Quarantänemaßnahmen sind neue Fälle von COVID-19 in China rückläufig und niedriger als die Zahl der Fälle im Rest der Welt. Dementsprechend ist die Stimmung wieder besser. Man sieht, dass die strengen Maßnahmen zum Erfolg geführt haben und ist mittlerweile mehr über aus dem Ausland zurückkommende Personen besorgt als über die Situation in China.
Herr Riße, vielen Dank für diese Einblicke!