Anleger und Analysten beschäftigt derzeit die Frage, welche Auswirkungen eine Fortführung der Amtszeit von Angela Merkel oder aber ein neuer Kanzler Martin Schulz auf die Kapitalmärkte haben könnte. Die Sutor Bank zeigt nun in einer Studie, dass die Frage nach der Kanzlerschaft allerdings gar nicht so entscheidend ist. Mit Blick auf das Bruttoinlandsprodukt und das deutsche Börsenbarometer Dax sei es sogar „relativ egal, wer Kanzler ist“, so die Hamburger Privatbank. Denn größere Marktbewegungen auf nationaler Ebene sind oft auf globale Ereignisse zurückzuführen. Und dennoch kann eine Bundesregierung die BIP-Entwicklung mitbeeinflussen – zumindest ein wenig.


Rückblick: Wirtschaftswachstum und Regierungen in der Bundesrepublik bis 1982


Die noch junge Bundesrepublik war von einem starken Wirtschaftswachstum geprägt. Während Konrad Adenauers Kanzlerschaft (1949-1963) lag das BIP-Wachstum stets im hohen einstelligen Prozentbereich, 1955 sogar bei 12,1 Prozent. Unter Ludwig Erhard (1963-1966) dann zeichnete sich in Folge abnehmender Arbeitsproduktivität und stark steigender Staatsausgaben der erste größere Wachstumseinbruch der Nachkriegszeit ab. Dieser schlug beim BIP allerdings erst 1967 (-0,3 Prozent) unter dem dritten Kanzler Kurt Georg Kiesinger (1966-1969) durch. Das BIP-Wachstum blieb in den Folgejahren auch unter den Kanzlern Willy Brandt (1969-1974) und Helmut Schmidt (1974-1982) stabil. Die beiden tieferen Einschnitten jedoch 1975 (-0,9 Prozent) und 1982 (-0,4 Prozent) wurden im Zuge der beiden Ölkrisen ausgelöst.


Dax trat mehr oder weniger auf der Stelle


Allerdings, so die Analysten, spiegelte der deutsche Aktienmarkt die positive Entwicklung des BIPs bis Anfang der 1980er-Jahre nur bedingt wieder: Zwischen 1959 (Schluss-Stand: 417,79 Punkte) und 1981 (490,39 Punkte) gab es zwar viel Auf und Ab, über den gesamten Zeitraum gesehen trat der Aktienmarkt aber nahezu auf der Stelle. Erst ab Anfang der 1980er-Jahre setzten deutsche Aktien zu einem ersten Höhenflug an, der – abgesehen von einem größeren Rückschlag 1987 – mit dem Platzen der Dotcom-Blase zu Beginn des neuen Jahrtausends abrupt endete. „Ein starkes Wirtschaftswachstum lässt sich zwar nicht im gleichen Verhältnis auf die Entwicklung am Aktienmarkt übertragen. Umgekehrt ist ein deutlicher Rückgang des BIP-Wachstums aber durchaus ein Indikator für ähnlich stark fallende Aktienkurse“, erklärt Lutz Neumann, Leiter Vermögensberatung der Sutor Bank, den Zusammenhang.


Steigende Kurse unter Kohl und Merkel


Ein regelrechtes Kursfeuerwerk prägte hingegen die Kohl-Ära (1982-1998): Von Ende Dezember 1982 bis Ende Dezember 1998 legte der Dax rund 800 Prozent zu. Besonders gut liefen deutsche Aktien in Kohls erster Amtszeit (1982-1986) mit 121 Prozent sowie in seiner letzten Amtszeit (1994-1998) mit 117 Prozent. Dieser Zuwachs ist nach Ansicht der Analysten zu einem großen teil auf die Entwicklung des Neuen Markts zurückzuführen. Das BIP entwickelte sich während der 16 Jahre Kanzlerschaft von Helmut Kohl hingegen eher zurückhaltend. Dabei schnitten die späten 1980er-Jahre jedoch deutlich besser ab als die 1990er-Jahre. In die Amtszeit von Gerhard Schröder (1998-2005) fallen das Platzen der Dotcom-Blase (2000) sowie die Folgen der Anschläge vom 11. September 2001. Von Dezember 1998 bis Dezember 2005 lag die Entwicklung des Dax bei lediglich rund sieben Prozent. Während der bisherigen Amtszeit von Angela Merkel als Kanzlerin hat sich demgegenüber der Dax mehr als verdoppelt. Trotz Finanzkrise ab 2009 legte der deutsche Aktienmarkt seit Ende 2005 stark zu und steht aktuell bei rund 12.000 Punkten. In allen drei bisherigen Regierungszeiten von Angela Merkel lag der Dax über die jeweils gesamte Dauer von vier Jahren betrachtet deutlich im Plus, so die Studie. Das BIP entwickelte sich unter Kanzlerin Merkel überwiegend stabil – in den letzten drei Jahren stets mit über 1,5 Prozent Wachstum –, mit einem scharfen Einschnitt jedoch im Jahr 2009 (-5,6 Prozent).


„Insbesondere in der zweiten Hälfte der Ära Helmut Kohl zeigte sich, dass sich die Aktienkurse massiv von der Entwicklung des Wirtschaftswachstums entkoppelt haben. Während in den Anfangsjahren der Bundesrepublik ein insgesamt starkes BIP-Wachstum mit eher seitwärts tendierenden Aktienkursen einherging, fällt in den 1990er-Jahren die starke Kursentwicklung im Vergleich zu einem niedrigen jährlichen BIP-Wachstum auf. Eine Art Friedensdividende wurde durch das Ende des Kalten Krieges und die Öffnung der Märkte erzielt“, fasst Lutz Neumann zusammen. „Das Wiedererstarken des Dax insbesondere Mitte der 2000er-Jahre sowie Anfang der 2010er-Jahre lässt sich wiederum auch mit einem in dieser Zeit stärkeren BIP-Wachstum in Verbindung bringen“, so Neumann weiter.


Aktienmarkt weitgehend unabhängig von den politisch Handelnden


Ihre Auswertung zeige, dass – allerdings ganz unabhängig von den jeweiligen Regierungschefs – die BIP-Entwicklung durchaus einige Rückschlüsse auf die weitere Performance des Aktienmarkts zulasse, resümieren die Analysten der Sutor Bank. „Bei einer zu starken Abkopplung der BIP- gegenüber der Dax-Entwicklung ist aus Anlegersicht Vorsicht geboten“, gibt Lutz Neumann zu bedenken. „Die jeweilige politische Regierung mag einen gewissen Einfluss haben auf das Wirtschaftswachstum und damit auch auf die Entwicklung von Aktienkursen, wie etwa beim Stützen der Automobilindustrie durch die Einführung der Abwrackprämie Anfang 2009. Doch es zeigt sich auch, dass nationale Aktienkurse schon immer im Schatten weltweiter Entwicklungen standen – wie etwa bei den Ölkrisen in den 1970er- und 1980er-Jahren, der Dotcom-Krise um die Jahrtausendwende oder auch bei der globalen Finanzkrise ab 2009. Aus der Performance des Aktienmarkts lassen sich daher kaum Rückschlüsse auf den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg einer Kanzlerschaft ableiten“, erklärt Neumann. Insgesamt seien für die Bundesrepublik allerdings bislang meist sehr lange Regierungsperioden der einzelnen Kanzler und eine über die Jahre konstant positive Entwicklung von Wirtschaft und Aktienkursen typisch.


Ebenfalls interessant: In einem Gastkommentar gehen Dr. Christian Funke, Vorstand von Source For Alpha, und Dieter Helmle, Vorstand von Capitell Vermögens Management, ebenfalls der Frage nach, welchen Einfluss die Regierungsparteien auf das Börsengeschehen haben.