Dass Schneeballsysteme in der Finanzwelt irgendwann platzen, ist eine Frage der Zeit. Irgendwann kommt nicht mehr genug „frisches“ Geld ins System, mit dem Ansprüche der Altanleger befriedigt werden können. Der Schneeball zerfällt, wird zur Lawine und begräbt dann häufig tausende geprellte Sparer unter sich. Anschließend nimmt alles seinen Lauf: Behörden ermitteln, es kommt zu Verurteilungen.


Doch im Falle des Schneeballsystems, das die Ermittlungsbehörden der Infinus AG vorwerfen, war einiges anders: Hier griff die Staatsanwaltschaft bereits ein, bevor das System von allein kollabierte – ein solch frühes Vorgehen der Behörden passiert eher selten. Der Schneeball rollte also noch, als das Justizdrama begann. Dass die Behörden nach einem Tipp eingriffen, soll einen noch größeren Schaden verhindert haben, heißt es heute.

Schneeballsystem wurde schon vor Jahren vermutet


Was war passiert? Infinus hatte mit hohen Renditeversprechen Anleger angelockt. Schon 2008 sollen Wirtschaftsprüfer den Verdacht geäußert haben, dass hier ein Schneeballsystem existiere. Im Laufe der Zeit soll das Unternehmen nur noch mit allerlei Tricks in der Lage gewesen sein, die fälligen Zinsen zu zahlen. Bereits Jahre vor dem Eingreifen der Staatsanwaltschaft sollen die Verantwortlichen von Infinus nicht durch Eigenkapital gedeckte Defizite verschleiert haben. In einem auf die Ermittlungen folgenden Prozess vor dem Landgericht Dresden werden Scheingeschäfte zwischen Firmen benannt, mit deren Hilfe Bilanzen geschönt wurden und Infinus noch 2013, als die Staatsanwaltschaft eingriff, ihren Zahlungsverpflichtungen nachkam. Allerdings geht das Gericht davon aus, dass Infinus wahrscheinlich 2014 in die Insolvenz hätte gehen müssen und das Geschäftsmodell nicht mehr tragbar gewesen wäre. Die Angeklagten hatten sich bis zuletzt als unschuldig gesehen.


Für alle Beteiligten endete das frühe Eingreifen der Ermittlungsbehörde jedenfalls drastisch. Infinus ist seit mehr als vier Jahren pleite, das Insolvenzverfahren läuft. Die Manager der Gesellschaft wurden nach einem mehrjährigen Mammutprozess unter anderem wegen Kapitalanlagebetrugs verurteilt und wandern für Jahre ins Gefängnis, zumindest sofern das jüngste Urteil des Landgerichts Dresden in der wahrscheinlich kommenden Revision nicht kassiert wird. Über 20.000 Anleger sollen mehr als 300 Millionen Euro verloren haben. Gewinne, die an die Anleger ausgeschüttet wurden, seien nur auf dem Papier existent gewesen und vom Unternehmen gar nicht tatsächlich erwirtschaftet worden, heißt es.


Der Fall Infinus, der in dem Urteil seinen bisherigen traurigen Höhepunkt erreicht, ist nicht nur aufgrund des Mammutprozesses, der Größe des finanziellen Schadens und der hohen Zahl Geschädigter bemerkenswert. Wohl kaum ein Prozess im Bereich des Kapitalanlagebetrugs verlief derart umstritten wie dieser. Einige Geschädigte zeigten sich fast schon solidarisch mit den nun Verurteilten. Einen Nachweis hierfür lieferten Reaktionen im Zuschauerraum des Gerichts, als das Urteil verkündet wurde und der zustände Richter den Saal mehrfach zur Ordnung rufen musste.


Schon während des Verfahrens hagelte es Kritik. Die Verteidigung warf dem Gericht harsch Voreingenommenheit vor und in den Kommentarspalten der Presse, die über den Prozess berichtete, kochte so manche Userseele. Mag man letzteres noch als typisch zeitgeistliche Internet-Nebengeräusche und das Verhalten des Verteidigers als mögliche Prozesstaktik abhaken, so kann man die Worte des Sachverständigen Lambertus Fuhrmann, der im Zuge des Prozesses als Gutachter aussagte, wohl nicht so einfach beiseite kehren. Fuhrmann spricht im Interview mit dem Nachrichtensender n-tv von einer Farce. Die Justiz habe mit ihrem Vorgehen für unverhältnismäßige und vermeidbare Kollateralschäden bei den geschädigten Anlegern und für eine niedrige Rückzahlungsquote gesorgt.


Fuhrmanns Kritik zielt damit nicht nur auf den zuständigen Richter ab, sondern auch auf das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, die seiner Meinung nach mit ihrem drastischen Vorgehen über das Ziel hinausgeschossen sei. Konkret kritisieren der Anwalt und der Sachverständige fehlerhafte Gutachten von Deloitte, auf die sich sowohl die Anklage als auch die Verurteilung stützen. Zudem prangert Fuhrmann an, dass die Staatsanwaltschaft keine geordnete Abwicklung der Unternehmensgruppe um Infinus unter Einschaltung der Aufsichtsbehörde BaFin ermöglicht habe. Stattdessen habe das Eingreifen die Insolvenz der Gruppe zur Folge gehabt.

Sollen Anleger ihre Zinszahlungen zurückerstatten?


Gerade das hat nun Folgen für Geschädigte. Von einigen werden seitens der Insolvenzverwaltung Zinszahlungen, die sie erhalten haben, zurückgefordert. Die Bilanzen der Jahre von 2009 bis 2012 sollen nicht korrekt und damit nichtig sein, heißt es von Seiten des Insolvenzverwalters. Trifft dies zu, hätte Infinus Scheingewinne ausgeschüttet, die der Insolvenzverwalter nun von den Anlegern für die Insolvenzmasse wieder eintreiben will. Fuhrmann allerdings hält auch dieses Vorgehen für fragwürdig, zumal unter anderem angesichts der fehlerhaften Gutachten unklar sei, ob die Bilanzen tatsächlich nichtig seien und ein Insolvenzverwalter nur klagen dürfe, wenn die Erfolgsaussichten überwiegen. Er rät Betroffenen, sich verklagen zu lassen, statt im Zuge von Vergleichen an den Insolvenzverwalter zu zahlen.


Noch ist also das letzte Kapitel im Infinus-Skandal nicht geschrieben. Neben der wohl anstehenden Revision des Urteils des Landgerichts steht noch das Zivil- und das Insolvenzverfahren an, beides dürfte sich über einige Jahre hinziehen. Allerdings ist schon heute absehbar, dass das Dresdner Urteil sich auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden auswirken und diese zu schnellerem Eingreifen bei Akteuren am grauen Kapitalmarkt bewegen könnte – vor allem wenn die Revision gegen das Urteil erfolglos bleibt und der zuständige Bundesgerichtshof der Sichtweise von Staatsanwalt und Landgericht folgt. Ob auch der Gesetzgeber Lehren aus dem Infinus-Skandal zieht und zum Beispiel das Anfechtungsrecht überarbeitet, bleibt indes abzuwarten.