Fidelity Die Branche überschätzt ihre Prognosefähigkeit
Alexander Leisten, Deutschland-Chef bei Fidelity International, warnt die Fondsbranche im Interview davor, ihre Prognosefähigkeit zu überschätzen. Außerdem verriet er uns auf dem Fonds Kongress, wie man bei Fidelity Portfoliomanager werden kann.
Alexander Leisten: Also wir sind zufrieden mit dem Geschäftsjahr 2015. Es war ein gutes Jahr für Fidelity, das gilt für unseren Wholesale-Bereich und auch für das institutionelle Geschäft. Ich bin sehr zufrieden mit dem Jahr, weil wir uns strategisch sehr viel vorgenommen haben und neue Produkte anbieten können, beispielsweise im Multi Asset Bereich.
Für das Börsenjahr lässt sich das nicht so leicht sagen. Wenn man dem Aktienverlauf 2015 folgt, könnte man sagen, wir sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet (lacht). Auch für den Rentenmarkt war es kein leichtes Jahr. Die Renditen sind unter Druck geraten. Auch für die als so sicher geltenden Bundesanleihen war es kein leichtes Jahr. Nicht zuletzt, weil China Bundes- und andere Staatsanleihen verkauft hat, um die Währung zu stützen. Insgesamt verlief das Jahr an den Finanzmärkten zwar durchaus noch fair, zwischendurch hatten wir aber größere Hoffnungen.
FD: Kann man aus dem Jahresverlauf 2015 bereits Lehren für das neue Jahr ziehen?
Leisten: Es ist in der Regel schwer, aus einzelnen Jahren Lehren zu ziehen, weil sich die Ereignisse sehr stark unterscheiden. Bestimmte Entwicklungen kann man erst einordnen, wenn man den ganzen Zyklus kennt. Das lässt sich sehr schön veranschaulichen mit der Tulpenmanie im 17. Jahrhundert, die als eine der ersten großen Finanzblasen gilt. Rückblickend betrachtet ist es natürlich irrational, dass eine Tulpenzwiebel mehr kostet als ein Haus in Amsterdam. Während der damaligen Hausse erschien es vielen Marktteilnehmern jedoch als normal.
Betrachtet man die vergangenen sagen wir zehn bis 15 Jahre, lässt sich eine Entwicklung deutlich erkennen: Die Abstände zwischen Marktausschlägen nach oben und darauffolgenden Krisen werden immer kürzer. Man kann den einen exogenen Faktor, der für diese Schwankungen verantwortlich ist, nicht immer eindeutig prognostizieren. Unsere Branche neigt häufig dazu, ihre eigene Prognosefähigkeit zu überschätzten. Einen Zeitraum von bis zu drei Monaten halte ich für recht gut prognostizierbar, ein solches Szenario kann man überblicken. Darüber hinaus gleichen Prognosen oft einem Blick in die Glaskugel. Vor allem sind es oft auch geopolitische Risiken, die für die hohe Volatilität verantwortlich und nur sehr schwer zu antizipieren sind.
Was mich in diesem Jahr wirklich bewegt, ist die Notenbankpolitik. Ich sehe der Entwicklung der Märkte positiv entgegen, aber dort sehe ich ein Risiko. In den vergangenen Finanzkrisen konnten die Notenbanken durch die Flutung der Märkte mit ausreichend Liquidität zu einer Stabilisierung beitragen. Diese Munition haben wir weitestgehend verschossen. Die Fed hat zwar im Dezember die Zinsen angehoben, sie sind aber immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Die entscheidende Frage lautet: Wo ist das Instrumentarium für die nächste Krise? – Darin sehe ich ein großes Problem.
Die Digitalisierung hat die Anzahl der Marktteilnehmer erhöht. Jeder kann theoretisch zu jeder Zeit alle Informationen einsehen. Entstehen dadurch auch Unsicherheiten?
Der Markt bildet sich unabhängig von der Teilnehmerzahl. Aber die Geschwindigkeit nimmt zu und die Hysterie, die mit der Verbreitung der Informationen einhergeht. Ich bin kein Gegner der sozialen Netzwerke, aber es wird sehr viel polemisiert. Die Geschwindigkeit und Reichweite, mit der sich sehr viele unreflektierte und nicht recherchierte Meinungen verbreiten, erhöhen die Verunsicherung.
Kommen wir auf China zu sprechen. In einem Marktkommentar erläutert Matthew Sutherland, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International in Hongkong, dass die Schwankungen an den chinesischen Börsen nicht mit einer neu entdeckten Schwäche der chinesischen Wirtschaft in Verbindung zu bringen seien. Immerhin ist das BIP im letzten Quartal um 6,8 Prozent gewachsen. Wird der deutsche Finanzmarkt auch in diesem Jahr weiterhin anfällig auf Kursverluste aus China reagieren?
Ich stimme meinem Kollegen zu. Das muss man differenziert beantworten. Unabhängig davon, ob die Kursverluste am chinesischen Finanzmarkt ein Ausdruck der Wirtschaftsschwäche Chinas sind oder nicht: Der deutsche Markt wird weiterhin mit Schwankungen reagieren. Chinas Bedeutung für unser Land hat deutlich zugenommen, weil viele Waren aus Deutschland nach China exportiert werden. Zudem sind viele deutsche Unternehmen über Joint Ventures in China aktiv. Sobald die Exporteure und Unternehmen vor Ort Alarm schlagen, muss das Auswirkungen auf den deutschen Markt haben.
Ob es sich dabei bloß um Stimmungen handelt oder um einen fundamentalen Abschwung der chinesischen Wirtschaft, das müssen sorgfältige Analysen beantworten. Womöglich kommt man dabei zu ganz anderen Erkenntnissen und kann sich entsprechend am Markt positionieren.
Was wir auf dem Finanzmarkt in China gesehen haben, hat sich auf dem Onshore-Markt ereignet. Dieser Markt ist für ausländische Investoren nur sehr begrenzt zugänglich. Dort ist 2015 eine Finanzblase entstanden. Die rasant steigenden Preise an den Aktienmärkten haben sich weit von den – grundsätzlich durchaus positiven – realwirtschaftlichen Entwicklungen entfernt. Jetzt ist ein Großteil der Luft aus dieser Blase entwichen. Die Realität sieht jedoch etwas besser aus, als es von den Medien übermittelt wird. Am langfristig positiven, aktuell etwas holprigen Ausblick für die chinesische Wirtschaft hat sich nichts geändert.
Die historische Erfahrung zeigt, dass Korrelationen in volatilen Marktphasen zunehmen, unabhängig davon, ob das fundamental gerechtfertigt ist oder nicht. Die Aktien bewegen sich alle in eine Richtung. Alle Marktteilnehmer verkaufen gleichzeitig. Erst wenn die Marktteilnehmer danach schauen, wo die Verwerfungen tatsächlich herkommen, werden die Korrelationen wieder abnehmen. Wir nutzen die aktuelle Situation am Aktienmarkt daher, indem wir uns dort positionieren, wo unsere Analysten vor Ort zur Erkenntnis gekommen sind, dass die Verwerfungen fundamental nicht gerechtfertigt sind. China wird für den deutschen Markt ein großes Thema bleiben, weil die Exportabhängigkeit groß ist und bleiben wird.
In Deutschland ist Fidelity eine der führenden Fondsgesellschaften und eine der größten unabhängigen Fondsplattformen. Worin unterscheidet sich das Konzept im Vergleich zu anderen Fondsgesellschaften?
Es ist die Breite unseres Angebotes, das wir in Deutschland anbieten. Wir decken alle Facetten für unsere Kunden ab, lassen ihnen aber die freie Auswahl. Wer einen Fonds kauft, kann auch Kunde unserer Fondsplattform FFB werden (FIL Fondsbank, Anm. d. Red.) Das freut uns natürlich, aber kein Kunde wird dazu gedrängt.
Ganzheitliche Lösungen bieten für Fondskunden jedoch enorme Vorteile. Gerade beim Thema Altersvorsorge. Wir werden ja immer älter. Generationen, die in 20 Jahren in Rente gehen, können mit 67 Jahren noch 30 Jahre weiter leben. Das ist ein sehr langer Lebensabschnitt, der auch finanziert werden muss. Da klafft bei vielen noch eine große Lücke. Wir entwickeln derzeit Konzepte, wie wir die Unterkapitalisierung im Rentenalter kompensieren können. Das Zusammenspiel zwischen Asset Management und einer eigenen Depotadministration kommt bei diesen Konzepten besonders zum Tragen.
Aber wir unterscheiden uns auch noch in einem weiteren Punkt vom Wettbewerb: Als reiner Vermögensverwalter, der sich im Privatbesitz befindet, können wir es uns leisten, bei neuen Geschäftsfeldern nicht sofort darauf achten zu müssen, wie wir das am schnellsten profitabel gestalten. Natürlich gehört die Profitabilität auch dazu. Aber wenn die Umsetzung einer Idee zehn Jahre dauert, dann darf es das auch. Das ist ein entscheidender Vorteil von Fidelity. Wir haben – anders als beispielsweise börsennotierte Unternehmen – keinen kurzfristigen Zeitdruck durch unsere Eigentümer. Wir bekommen die Zeit, die passenden Produkte für unsere Kunden zu entwickeln.
Im vergangenen Jahr wurde Fidelity unter anderem von Morningstar, Feri Rating, und Lipper ausgezeichnet. Worin liegt das Erfolgsrezept begründet?
Wir haben ein großes Team von gut ausgebildeten Experten, etwa 260 Portfoliomanager. Insgesamt umfasst das Investmentteam 420 Spezialisten. Wir haben also ein globales, alle wichtigen Asset-Klassen umfassendes Analyseteam und sind in der Hinsicht gut aufgestellt. Außerdem haben wir einen klaren Ausbildungsweg, den unsere Analysten und Portfoliomanager gehen können. Es gibt keinen zentralen Managementansatz aber eine Analysephilosophie, die wir entwickeln. Das kann man mit Traditionsvereinen wie dem FC Barcelona oder Ajax Amsterdam vergleichen. Da spielen schon die Jugendspieler im gleichen System und nach den gleichen Regeln, wie die Profimannschaft.
Darüber hinaus gibt es im Markt eine hohe Zahl angeblich aktiver Fonds, die aber in Wirklichkeit in einem sehr geringen Teil des Portfolios aktiv arbeiten. Wenn man nur ganz leicht von der Benchmark abweicht, dann muss in diesem kleinen Teil die Überrendite gegenüber dem Index erwirtschaftet werden. Wir hingegen arbeiten bei all unseren Produkten mit einem sehr hohen Active Share (Anteil des Portfolios, der von der Benchmark abweicht, Anm. d. Red.). Je höher er ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die eigene Prognosegüte auszahlt und in positiven aktiven Renditen im Portfolio niederschlägt. Wissenschaftliche Studien haben erwiesen, dass ein aktives Portfoliomanagement, das auf eine Einzeltitelauswahl und einen hohen Active Share setzt, eine bessere Rendite erzielt als der Gesamtmarkt.
Fidelity-Interview Teil 2: Wie wird man Portfoliomanager?