Supergau Hyperinflation


Im Dezember 1923 geht meine damals dreizehnjährige Urgroßmutter los, um einzukaufen. Ihr Bruder fährt das Geld in der Schubkarre neben ihr her. Der Vater hat gerade seinen Lohn erhalten und nun heißt es, die Geldbündel schnell auszugeben, bevor sie nichts mehr wert sind. Die Päckchen mit den 100.000 Markscheinen entwerten sich stündlich. Für einen Liter Milch zahlt meine Uroma etwa 360 Milliarden Mark. Im Sommer des Jahres waren es noch etwa 1.440 Mark. Schuld an dem Dilemma ist der Erste Weltkrieg, den sie als junges Mädchen erlebt hat. Das Deutsche Reich hat hohe Schulden bei der Bevölkerung aufgenommen, um den Krieg zu finanzieren. Kriegsanleihen finden sich in vielen Haushalten – auch als Rücklage für den Ruhestand. Die vier Jahre des Krieges haben das Reich gebeutelt. Die Schulden bei der eigenen Bevölkerung können nicht beglichen werden, ebenso wenig die zusätzlichen Reparationszahlungen an die Alliierten. Als Frankreich daraufhin das Ruhrgebiet besetzt, wird die junge Weimarer Republik endgültig in die Ecke gedrängt. Die Regierung beginnt, immer mehr Geld in Umlauf zu bringen. Für Schuldner ist es eine Erleichterung, denn sie können ihre Verbindlichkeiten mit einem Fingerschnipp zurückzahlen. Sparer hingegen sehen ihre Rücklagen im Nichts verpuffen. Die Kriegsanleihen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, und die Geldbündel werden als Bauklötze, Heizmaterial und Notizzettel zweckentfremdet.


Ein Ende und ein neuer Anfang


Die traumatische Entwicklung findet ein Ende, als nach der Übergangswährung der Rentenmark ab November 1923 im Oktober 1924 die Reichsmark eingeführt wird. Die alte Währung wird kurzerhand eingestampft. Den Alliierten wird klar, dass die Weimarer Republik ihre Reparationszahlungen nur dann wird leisten können, wenn sie sich in einer stabilen wirtschaftlichen Lage befindet. Reichskanzler Stresemann bewirkt bei den Alliierten eine Überprüfung der Leistungsfähigkeit der Republik – der Grundstein für den Dawes-Plan. Der sieht Reparationszahlungen in Höhe von einer 1,25 Milliarden Goldmark im Jahr vor. Um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, nimmt die Weimarer Republik eine internationale Anleihe von 800 Milliarden Goldmark auf. Frankreich muss beschlagnahmte Betriebe und Bergwerke freigeben und darf keine Politik mehr betreiben, die der deutschen Wirtschaft schaden könnte. Die Amerikaner erhalten Mitspracherecht bei der Reichsbank und der Reichsbahn. Ein paar Jahre läuft alles glatt und Europa kann sich im Glanze der Goldenen Zwanziger erholen. Die Wirtschaftskrise 1929 jedoch bewirkt, dass die Amerikaner ihre Investitionen aus Europa zurückziehen. Rechts- und linksextreme Parteien gewinnen in der Weimarer Republik an Popularität, was in der Machtübernahme Hitlers 1933 und schließlich im Zweiten Weltkrieg gipfelt. Die Anleihe von 800 Milliarden Goldmark zahlt Deutschland (mit Unterbrechungen) noch bis 2010 zurück. Meine Urgroßmutter übersteht sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg und erlebt bis zu ihrem Tod 2003 insgesamt sechs deutsche Währungen.


Wie verliert Geld seinen Wert?


Inflation bedeutet wörtlich „sich aufblähen“. Die erste bekannte Inflation in Europa ist die sogenannte Preisrevolution im 16. Jahrhundert. Der zunehmende Edelmetallabbau und Edelmetallimporte aus der Neuen Welt jenseits des Atlantiks sorgen dafür, dass immer mehr Geld im Umlauf ist. Eine erhöhte Geldmenge ist einer der Gründe für eine Inflation. Steigt die Masse der Zahlungsmittel, haben Händler keine andere Wahl, als die Preise ihrer Waren zu erhöhen. Wird darauf mit der Produktion von noch mehr Geld reagiert, beginnt ein Teufelskreis, der in einer Hyperinflation enden kann. Bei der Preisrevolution kommt erschwerend eine gesteigerte Nachfrage hinzu, da sich die Bevölkerungszahl nach der Pest erholt.


Ein anschauliches Beispiel für die Geldentwertung findet während der Kipper- und Wipperzeit im Dreißigjährigen Krieg statt. Zwischen 1620 und 1622 werden mit einer Waage (wippen) hochwertige Münzen mit hohem Silberanteil aussortiert (kippen) und aus ihnen neue Münzen geprägt, denen minderwertige Metalle wie Zinn, Kupfer und Blei beigemischt werden. Noch bis 1914 werden Münzen aus Edelmetallen oder Anteilen davon geprägt. Sie werden Kurantmünzen genannt und ihr Kurswert/Nominalwert entspricht dem inneren Wert der Münze. Während der Kipper- und Wipperzeit wird das Geld also buchstäblich entwertet. Nach 1914 lösen die sogenannten Scheidemünzen die Kurantmünzen ab. Deren Nominalwert entspricht nicht dem inneren Wert, weil für sie Legierungen aus Kupfer, Nickel, Zinn und Eisen verwendet werden.


Andere Begriffe für Inflation sind Teuerung und Preissteigerung. Steigen die Preise für Waren, sinkt die Kaufkraft, weil für das gleiche Geld weniger Ware gekauft werden kann. Wirtschaftswissenschaftler beschreiben die Inflation als eine Abhängigkeit der Wachstumsrate der Geldmenge vom Wirtschaftswachstum.


Weitere Inflationsformen


Neben der Geldmenge hat das Angebot einen Einfluss auf die Inflationsrate. Steigende Produktionskosten erhöhen die Preise für Waren und Dienstleistungen. Dafür können höhere Energie- oder Rohstoffpreise verantwortlich sein, die durch Naturkatastrophen, Kriege oder Pandemien entstehen können. Auch steigende Zinsen sowie höhere Lohnkosten treiben die „Kosteninflation“ an.


Auf der anderen Seite kann eine Nachfragesoginflation entstehen. Steigt die Nachfrage nach bestimmten Gütern rasant an, den die Angebotsseite nicht decken kann, steigen automatisch die Preise.


Nicht zu unterschätzen sind zudem die Erwartungen der Ökonomen und Konsumenten. Sie beeinflussen Investitions- und Kaufentscheidungen und hängen von der Berichterstattung über erwartete Inflationsraten ab.


Lösung Deflation?


Das Gegenteil von der Inflation ist die Deflation. So wie bei einer Inflation das Preisniveau ansteigt, sinkt es bei der Deflation. Eine Ursache kann die Überproduktion von Waren sein oder ein sinkender Geldumlauf. Dadurch schrumpft die Wirtschaft und gerät in eine Absatzkrise. Das Geld hingegen wird aufgewertet, da sich mehr Waren mit dem gleichen Geld kaufen lassen. Für Schuldner ist die Deflation gefährlich, da im Gegensatz zur Inflation der Geldwert und somit auch der Schuldenwert steigt. Eine Deflation ist also kein attraktives Gegenszenario und darüber hinaus nicht künstlich herbeizuführen. Mittlerweile sind sich Experten einig, dass eine Inflationsrate von zwei Prozent im Jahr zu einer gesunden Preisentwicklung beiträgt.


Die Moral von der Geschicht


Während einer hohen Inflation ist es nicht sinnvoll, sein Geld auf einem Konto zu parken. Es verliert dort kontinuierlich an Wert, was sich in einem Niedrig- oder sogar Negativzinsumfeld überdeutlich zeigt. Besser ist eine Geldanlage in Wertpapiere oder Immobilien. Immobilien sind nach wie vor eine attraktive Möglichkeit der Altersvorsorge. Kredite sind zudem interessant, da mit steigender Inflation die Schuldenlast sinkt. Dagegen sprechen auf der anderen Seite die aktuell hohen Immobilienpreise. Aktienfonds überzeugen hingegen mit einer Aussicht auf Rendite und ihrer Risikostreuung. Als Altersvorsorge sind sie zur gesetzlichen Rente eine zusätzliche Sparmöglichkeit und bieten Schutz vor Inflation. Edelmetalle gelten ebenso als inflationssicher und sind in Krisenzeiten beliebt.