Der Euro ist dem Untergang geweiht!


Christian Rickens ist ein Journalist und Schriftsteller, der bereits für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit und Spiegel Online gearbeitet hat. Seit November 2015 ist er für das Handelsblatt tätig. In seinem Buch „Das Glühbirnenkomplott“ aus dem Jahr 2014 ist er Verschwörungstheorien und den Fakten dahinter auf der Spur. Spiegel Online hat wichtige Auszüge aus dem Buch veröffentlicht.


Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 witterten einige Menschen eine Intrige der USA, die das Weltgeschehen verändern sollte. Der Euro wurde gegenüber dem Dollar immer stärker, doch das nahm eine Gruppe aus Politikern und Bankern nicht hin. Mit der Hilfe der Rating-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s sowie Fitch machten sie sich für den Gegenangriff bereit. Die Agenturen senkten ab Dezember 2009 sukzessive die Bonitätsraten der EU-Staaten Griechenland, Portugal, Spanien und Italien. Als Folge zogen Investoren ihre Gelder aus der EU ab, was die Krise verschlimmerte. All das bot Nahrung für die Theorie eines „Währungskrieges“ gegen den Euro, die sogar in höheren politischen Kreisen Einzug hielt. Rainer Brüderle von der FDP, Michael Fuchs von der CDU und auch Europa-Abgeordneter Elmar Brok von der CDU vermuteten einen amerikanischen Angriff auf den Euro. Darüber hinaus unterstellten die Verfechter der Theorie der amerikanischen Regierung und verschiedenen Wirtschaftsgrößen eine enge Zusammenarbeit mit den Rating-Agenturen. Tatsächlich entzog Standard & Poor’s im Jahr 2011 auch den USA die Bestnote, was der Theorie einen Dämpfer verpasste. Außerdem kommt Christian Rickens in seinem Buch zu dem Schluss, dass den USA an einem Zerfall der Euro-Zone keinesfalls gelegen sein könne – würde dies doch eine Wirtschaftskrise auslösen, deren Ausmaße auch über den Atlantik hinaus zu spüren seien.


Darüber hinaus sorgte eine Theorie um die Kürzel auf der Rückseite der Euroscheine während der Finanzkrise 2008 für Aufsehen. Nachdem Griechenland der Bankrott drohte und auch Spanien und Italien schwächelten, wuchsen die Sorgen ums Geld. Was wäre die Konsequenz im Falle einer Auflösung der Euro-Zone? Findige Verschwörungstheoretiker fanden die Antwort: Die lange Nummer auf der Rückseite der Scheine wird von einem Buchstaben angeführt. Ein Kürzel für den Staat, in dem der Schein gedruckt wurde. Sollte ein Euro-Staat nun pleitegehen, verlören die entsprechenden Scheine ihren Wert. Die Bevölkerung müsse lediglich darauf achten, nur Scheine mit „starken“ Kürzeln im Geldbeutel zu haben. Tatsächlich steht der Buchstabe für den Staat, der den Druck in Auftrag gegeben habe. Der Druck fand durchaus im Ausland statt. Abgesehen davon sind sowohl Scheine als auch Münzen grenzübergreifend gültig.


Verschwörungstheorien rund um Geld und Wirtschaft


Neben dem Krieg gegen den Euro gibt es noch zahlreiche Verschwörungstheorien zu Geld und Wirtschaft. Eine der bekanntesten ist das geheimnisvolle Symbol auf der Rückseite der Ein-Dollar-Note – ein Auge in einem Dreieck von Sonnenstrahlen umgeben. Verschwörungstheoretiker sehen darin den Beweis dafür, dass seit der amerikanischen Unabhängigkeit Geheimlogen von Illuminaten und Freimaurern die Geschicke des Landes lenken. Tatsächlich handelt es sich um die Rückseite des Siegels der USA und stellt das wachsame Auge Gottes und die Dreifaltigkeit dar.


Andere glauben daran, dass die Endlichkeit des Erdöls eine Erfindung sei, damit die Erdölkonzerne die Preise künstlich in die Höhe treiben könnten. Dann gibt es noch die vielfach interpretierbare Zigarettenschachtel von Marlboro, die mit viel Fantasie und einigen Augenübungen kryptische Symbole erkennen lassen. Diese sprächen dafür, dass der Ku-Klux-Klan den Tabakriesen Phillip Morris unterwandert habe.


Auch die US-amerikanische Notenbank FED wird von Verschwörungstheorien nicht verschont. Das Federal Reserve System wurde 1913 gegründet. Es handelt sich um ein privates Unternehmen, das die USA in zwölf Bezirke (Federal Reserve Districts) einteilt, von denen jeder eine Federal Reserve Bank aufweist. Die FED ist seit ihrer Gründung Ziel von Verschwörungstheorien. Antisemiten nutzen das jüdische Gründungsmitglied Paul Warburg für ihre Behauptung, das „Finanzjudentum“ lenke die Geschicke der Bank. Darüber hinaus sei das Attentat auf John F. Kennedy von Verschwörern geplant worden, die Kennedys geplante Währungsreform (Executive Order 11110) verhindern wollten. Mit der Reform hätte Kennedy der FED Macht entziehen wollen.


Wolff Seitz, Leiter des Produktmanagements bei Onvest, berichtet von einem Kunden, der ihm Mitte der Neunzigerjahre von zwei Zinsmärkten erzählt hätte. Einer davon sei der für die Privatkunden und der andere sei geheim. Dieser geheime Zinsmarkt böte viel höhere Zinsen, welche die Banken unter sich abgesprochen hätten, um sich gegenseitig mehr Geld zuzuschustern. Seitz bot dem Kunden daraufhin an, dessen Geld auf dem geheimen Zinsmarkt anzulegen, der so viel höhere Renditen verspräche. Diesen geheimen Markt nenne man Börse und so geheim sei er gar nicht.


Verschwörungstheorien aus wissenschaftlicher Sicht


Michael Butter ist Professor für amerikanische Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. Zu seinen Spezialgebieten zählen Verschwörungstheorien. Er erklärt den Unterschied von echten Verschwörungen und Verschwörungstheorien in einem Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung so: „Bei Verschwörungstheorien wird die Rolle des Zufalls komplett ausgeschlossen“, während bei echten Verschwörungen immer wieder Dinge passierten, die niemand so vorhersehen konnte. Michael Butter setzt sich außerdem dafür ein, Verschwörungstheorien auch so zu nennen. Einige deutsche Wissenschaftler und Journalisten ziehen die Begriffe „Verschwörungserzählung“ oder „Verschwörungsmythen“ vor, weil sie den Begriff „Theorie“ in diesem Fall als Aufwertung kruder Ideen sehen. Butter befürwortet indes den Begriff Theorie, da es sich aus seiner Sicht um eine solche handle. Funfact: Es gibt sogar eine Verschwörungstheorie zur Entstehung des Wortes „Verschwörungstheorie“, wie er auf theconversation.com erklärt. Michael Butter setzt sich zudem in der Beratungsstelle Veritas für Betroffene von Verschwörungstheorien ein und erhielt 2021 den Tübingen‘s Prize for Knowlegde Communication.


Michael Butter gibt Entwarnung


Die große Frage bleibt, ob Verschwörungstheorien einen merklichen Einfluss auf die Wirtschaft haben. Wir haben bei Michael Butter nachgefragt und gute Neuigkeiten erhalten: „Der Einfluss von Verschwörungstheorien auf die Wirtschaft ist zu vernachlässigen“, erklärt Butter im Interview. „Im Kleinen konnten Verschwörungstheoretiker zum Beispiel in der Corona-Pandemie ihre Theorien zu Geld machen.“ Butter bezieht sich dabei primär auf die Monetarisierung ihrer YouTube-Kanäle sowie auf den Verkauf von Schutzprodukten. Unternehmen sollten sich mit dem Thema zwar auseinandersetzen, mehr als eine „Unbequemlichkeit“ sei hingegen nicht zu befürchten. „Weder ich noch meine Kollegen aus den USA konnten einen signifikanten Einfluss von Verschwörungstheorien auf Unternehmen feststellen.“ Dazu zählen auch Konzerne wie Software-Gigant Microsoft. Bill Gates ist in den letzten Jahren häufiger zur Zielscheibe von Verschwörungstheoretikern geworden: Gates schmuggle Microchips in Impfungen und habe das Coronavirus inklusive Patent entwickeln lassen – das sind nur zwei der Verschwörungstheorien, die um den Microsoft-Gründer kreisen. Dennoch haben die Theorien dem Unternehmen nicht geschadet.


Anders sehe es beim Krieg in der Ukraine aus. Nach Butters Ansicht sei der Krieg erst durch Verschwörungstheorien entstanden, die der russische Präsident Putin glaubte. Der Ausbruch des Krieges hat für eine humanitäre und wirtschaftliche Krise gesorgt, die Europa in Atem hält. Insofern gebe es einen Zusammenhang zwischen Verschwörungstheorien und Wirtschaft. Dass einzelne Theorien jedoch Aktien in die Knie zwingen könnten, hält der Professor für unwahrscheinlich.


Für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern empfiehlt Michael Butter, nicht mit Fakten zu argumentieren: „Das macht es meist noch schlimmer“, erklärt der Spezialist. Besser sei es, darauf zu warten, dass sich das Gegenüber in eigenen Widersprüchen verstrickt.