FondsDISCOUNT.de: Sehr geehrter Herr Steffen, das Börsenjahr 2016 hat denkbar schlecht angefangen. Sehen Sie schon ein Ende des Kursverfalls oder wird es noch weiter bergab gehen?

Peter Steffen: Mit solchen Prognosen halte ich mich zurück. Wir haben jetzt ein Umfeld wo die Wirtschaftsdynamik nachlässt, wo die Unternehmensdaten schlechter werden. Wenn man in die einzelnen Märkte reingeht, sieht es nirgendwo mehr richtig gut aus. Die Bewertungen sind hoch. Die Liquidität am Markt lässt aufgrund der Fed weiter nach. Die Chinesen verkaufen Devisen. Das wirkt wie ein gigantisches Anti-QE-Programm. Kurzfristig kann man damit rechnen, dass das schlechte Umfeld bleibt. Allerdings sind die Märkte derzeit extrem überverkauft. Die Wahrscheinlichkeit, dass es also zumindest kurzfristig wieder bergauf geht, ist höher, als dass es weiter bergab geht.

FD: Waren Sie auf diesen Börsenstart vorbereitet?

Steffen: Wir waren, wie viele andere, nicht darauf vorbereitet. In den ersten drei Wochen mussten wir herausfinden, was eigentlich los war. Eigentlich waren die Unternehmensergebnisse im Rahmen der bereits recht niedrigen Erwartungen. An der reinen Faktenlage hat sich in den letzten vier Wochen auch nicht viel geändert. Es hatte sich eine unvorhergesehene, diffuse Angst an den Märkten eingestellt, die keiner so richtig einordnen kann. Wir haben noch in der ersten Handelswoche des Jahres reagiert und die Reißleine gezogen und unser Aktien-Exposure durch aggressive Hedges schnell reduziert. Das hat immerhin in der zweiten und dritten Woche des Ausverkaufs die vorübergehenden Verluste vermindert.

Und was ist an den Märkten gerade los?

Alle haben noch immer das Jahr 2008 im Kopf. Als es damals zehn Prozent runter ging war es immer noch richtig, weiter zu verkaufen. Das erzeugt jetzt die Nervosität, in jeder Korrektur wird der nächste große Jahrhundertcrash gesehen. Außerdem kommen nach solch einem Börsenstart wie in den letzten Wochen die Untergangs-Propheten in den Medien hervor und verstärken diese Tendenzen noch. Wir halten einen Crash wie in 2008 aber aktuell für das unwahrscheinlichste Szenario. Die ganze Anatomie der Krise damals war eine andere. Der Immobilienmarkt in den USA war an einem anderen Punkt. Die schlechten Papiere lagen in den Bilanzen der Banken und diese waren extrem gehebelt. Durch die erfolgte Regulierung und die Säuberung ihrer Bilanzen sind die Banken jetzt in einer viel besseren Verfassung als damals.

Die Probleme liegen im Moment eindeutig woanders, nämlich im Rohstoffsektor und in den Schwellenmärkten. Die Expansion dort wurde weniger durch die Banken als über die Kapitalmärkte finanziert. Zum Beispiel dürften die Anleihen vieler Rohstoffproduzenten in den Bilanzen der Pensionskassen und Versicherungen nun zum Problem werden. Die können auch systemrelevant werden. Im Moment sieht es aber noch nicht danach aus. Die Schulden-Niveaus sind allerdings sehr hoch – auch höher als 2008 – und das Risiko für das gesamte globale Finanzsystem ist folglich nicht von der Hand zu weisen. Aber die Hebel im Bankensystem sind nicht mehr die gleichen wie in 2008. Das systemische Risiko scheint jedenfalls noch moderat zu sein, auch weil es durch die niedrigen Zinsen der Zentralbanken kaschiert wird. In diesem Modus kann es durchaus noch ein paar Jahre weiter gehen.

Wir halten sogar ein paar Bankaktien von amerikanischen Häusern mit soliden Bilanzen. Die – wenngleich kleine – Zinserhöhung der Fed hilft der Profitabilität der Banken ungemein. Demgegenüber leiden die europäischen Banken weiterhin unter dem starken Wettbewerbsdruck und der Negativzinspolitik der EZB.

Einige haben im letzten Jahrzehnt versucht, die niedrigen Renditen auf dem Heimatmarkt in den Emerging Markets zu kompensieren und dabei Risiken aufgebaut, was nun leider zu zusätzlichen Problemen führt.

Was halten Sie von der Geldpolitik der Zentralbanken?

Die meisten QE-Maßnahmen (QE= Quantitative Easing, Ausweitung der Geldpolitik, Anm. d. Red.) der Zentralbanken waren total überflüssig. Es gab keine positiven messbaren Effekte auf das Wachstum der Wirtschaft oder die Inflation. Die ersten Maßnahmen dieser Art im Jahr 2008 waren sicher noch notwendig, denn die US-Zentralbank Fed musste die Märkte noch mit frischem Geld versorgen, um einen völligen Kollaps des Systems abzuwenden. Ab 2010 war das aber eigentlich nicht mehr nötig. Die Zentralbanken haben unseres Erachtens auch gar nicht die Aufgabe, die Konjunkturzyklen auf derart extreme Weise zu glätten. Ich finde es unpassend, dass die Zentralbanken ihre Interventionen in den Jahren nach der Krise als Erfolg verkaufen. Vielmehr handelte es sich wohl um eine etwas atypisch ablaufende Erholung aus einer ungewöhnlich tiefen Rezession heraus. Und die Märkte müssen von alleine klar kommen, denn zu starke Eingriffe in die Marktmechanismen führen langfristig zu extremen Fehlallokationen von Kapital. Vor allem in den USA hat die Fed einiges zur Überbewertung der Aktienmärkte und auch zum nun vorhandenen Ölüberangebot beigetragen.

Sind Unternehmen in Europa nicht genau so überbewertet?
Wir machen bei Aktien zwischen den USA und Europa keinen großen Unterschied aus. Aber vor allem in eher stabilen oder wachsenden Bereichen wie dem Pharmasektor und im Technologiesektor gibt es hier gar nicht so viele Unternehmen wie in den USA. Diejenigen, die es gibt – wie zum Beispiel Nestlé – sind in Europa teilweise sogar höher bewertet als vergleichbare Titel in den USA. Und die scheinbar günstigen Preis-Buch-Bewertungen auf Indexebene sind durch den hohen Anteil unprofitabler Bankaktien stark verzerrt. Europäische Aktien sind also nicht so günstig wie zuletzt oft argumentiert worden ist.

Sie versuchen, bei der Asset-Allokation die Volatilität möglichst niedrig zu halten. In welchen Branchen suchen Sie in diesen hektischen Zeiten nach Titeln mit einer niedrigen Schwankungsbreite?


Das sind die gleichen Rezepte, die früher auch schon funktioniert haben. In der Hinsicht hat sich nichts verändert. Gewisse Branchen sind immer relativ stabil. Telekom, regulierte Versorger, Pharma-Werte. Wir suchen darüber hinaus grundsätzlich nach Titeln mit stabilen Geschäftsmodellen. Es gibt genügend defensive Strategien, die sich in Abwärtsmärkten als vorteilhaft erweisen.

Die oberste Priorität bei Ethenea lautet: Die Substanz des Kapitals zu erhalten. Wie ist das möglich nach so einem katastrophalen Börsenstart?

Produkte, die auf nur eine Anlageklasse setzten, sind zu einem großen Risiko geworden. Man ist der Volatilität ungeschützt ausgesetzt. Das sieht man derzeit an den Aktienmärkten. Mischfonds, wie die von Ethenea, die in verschiedene Anlageklassen investieren, können das Risiko besser streuen und sollten daher weniger schwankungsanfällig sein als reine Aktienfonds. Das ist für Anleger mit geringerer Risikotoleranz sicher von Vorteil. Multi Asset Fonds können aber auch nicht zaubern. Die anstehende Marktphase wird wohl auch weiterhin schwierig bleiben, denn die erzielbaren Renditen in allen Anlageklassen sind sehr niedrig.

Aus dem Börsenstart ergeben sich aber grundsätzlich auch Chancen, neue Anleger zu gewinnen. Als Neuanleger sollte man derzeit vorsichtig und moderat Positionen aufbauen, um nicht an Substanz zu verlieren, aber die Kurse sind aktuell sicher interessanter als vor einem Jahr.

Die Fonds Ethna-DEFENSIV, Ethna-AKTIV und Ethna-DYNAMISCH sind vom Risikoprofil her unterschiedlich konzipiert. Welches der drei Risikoprofile ist derzeit am beliebtesten, gibt es aktuelle Daten?

Das ist sehr stark von den persönlichen Anlegeranforderungen und dem jeweiligen Marktumfeld abhängig. Letztes Jahr war die Nachfrage nach den offensiveren Produkten zunächst höher. In der zweiten Jahreshälfte wurden wieder defensivere Fonds gefragt.

Seitdem die EZB Staatsanleihen ankauft sinken die Renditen von Schuldtiteln in der Euro-Zone. Eigentlich kann man mit Staatsanleihen überhaupt keine Rendite mehr erzielen. Auch Unternehmensanleihen werfen im Investment Grade Bereich nur noch etwa ein Prozent ab. Müssen Sie auch für den Ethna-DEFENSIV auf den Pool der Hochzinsanleihen zurückgreifen?

Es gibt durchaus noch Renditen. Nach der Zinserhöhung haben wir beispielsweise das gesamte Rentenportfolio des Ethna-DYNAMISCH ins US-Anleihensegment verlegt. Da gibt es bei längeren Laufzeiten zwischen zwei und drei Prozent. Im Vergleich zu den Märkten in Japan, der Schweiz und Deutschland sind diese Renditeniveaus höchst attraktiv. Vor allem, da die Fed angesichts der Entwicklung der globalen Finanzmärkte und der niedrigen Inflation für weitere Zinsschritte aktuell überhaupt keine Rechtfertigung mehr hat.

Wie ist es mit Unternehmensanleihen?

Für die Fonds Ethna-AKTIV und Ethna-DEFENSIV haben wir natürlich Unternehmensanleihen mit Investment-Grade drin. Wir achten dabei auf ein gutes Rating und ein gutes Geschäftsmodell. Für die Auswahl der Anleihen gibt es ähnliche Kriterien wie für unsere Investments in den Aktienmarkt.

Den Bereich für Hochzinsanleihen sehen wir insgesamt ziemlich kritisch. Es besteht die Gefahr, dass man aus diesen Anleihen unter Umständen nicht mehr herauskommt. Allein durch die hohen Transaktionskosten werden rentable Trades erschwert. Privatanleger sind hier in ein ganz gefährliches Spiel verwickelt. Sie gehen ein höheres Risiko ein, angelockt von scheinbar auskömmlichen Renditen. Das wird vor allem dann gefährlich werden, wenn sich die Wirtschaft weiter abschwächen sollte. Im Dezember gab es mit der Notschließung einzelner High-Yield-Fonds in den USA bereits einen Vorgeschmack darauf: Die Märkte sind sehr illiquide geworden.

Aufgrund des Renditeproblems bei Anleihen prognostiziert die Sauren-Gruppe schon eine „Zeitenwende“ bei den Mischfonds. Wie schätzen Sie diese Situation ein?

Wenn die Zinsen auf null sind, dann hat das Auswirkungen auf alle. Die gute Performance in der Vergangenheit wird sich nicht aufrechterhalten lassen und das dürfte viele Anleger enttäuschen. In Zukunft wird man über eine Rendite von drei bis fünf Prozent auch an den Aktienmärkten froh sein. Da hat die Zentralbankpolitik uns hingeführt und aus diesem Dilemma führt so schnell kein Weg heraus. Trotzdem gibt es keine Alternative zu Mischfonds. Das Produkt wird attraktiv bleiben, denn auf der einen Seite sind die Renditechancen sicher besser als bei reinen Rentenprodukten und zugleich sollten die Produkte weniger schwankungsanfällig sein als reine Aktienfonds. Das Problem hoher Bewertungen betrifft alle Anlageklassen, weltweit.

Was würden Sie Anlegern raten, die in so einem Börsenumfeld damit anfangen wollen, sich ein diversifiziertes Portfolio aufzubauen?

Anleger sollten nicht ihr ganzes Kapital auf einmal investieren und mehrere Mischfonds kaufen. Lieber langsam in den Markt reinkaufen. Niemand schafft es, den besten Zeitpunkt zu finden. Vor allem würde ich vor dem unbesehenen Kauf von Assets warnen, die stark gefallen sind, nur weil das hohe Renditen verspricht. Denn solche Unternehmen haben in der Regel auch Probleme. Aus dem Gesichtspunkt der Portfoliokonstruktion kauft man am besten Papiere, die nicht allzu viel miteinander zu tun haben. Niedrige oder gar negative Korrelationen sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen Risikostreuung. Momentan haben wir einen Zeitpunkt erreicht, an dem man damit anfangen kann.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Was macht Ihnen an Ihrem Job derzeit am meisten Spaß?

In den letzten paar Wochen gab es nicht sehr viel (lacht). Die Beschäftigung mit den Märkten ist aber grundsätzlich eine spannende Sache. Man lernt jeden Tag etwas Neues, man weiß nie genau was passiert. In einem solchen dynamischen Umfeld wird es nie langweilig. Die permanente Entscheidung unter Unsicherheit ist eine Herausforderung, sie setzt die Abwägung von Chance und Risiko, die Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten voraus. Wenn das gelingt und die Ergebnisse stimmen, macht das viel Freude.

Herr Steffen, wir danken Ihnen vielmals für dieses Interview.