Herr Heinz, Sie sind im Juli letzten Jahres zum Bellevue Asset Management (Deutschland) gewechselt. Ganz knapp: Was ist Ihr Resümee dieses ersten halben Jahres?
Es ist ein ganz anderes Umfeld als das, was ich bisher aus meinen vorherigen Tätigkeiten bei Großbanken kannte. Aber das macht es auch so spannend. Bellevue ist hoch spezialisiert und unternehmerisch geführt mit direkten Entscheidungswegen. Natürlich gab es auch Herausforderungen. Wir haben die neue Bellevue Asset Management (Deutschland) GmbH gegründet und neue Räumlichkeiten im Herzen des Finanzplatzes Frankfurt bezogen. Es ist eine sehr schöne Aufgabe, diese Entwicklung mitzugestalten.
2022 war rundum ein sehr bewegtes Jahr. Wie war es für Sie, in einer so unruhigen Marktphase bei Bellevue einzusteigen?
In diesem in der Tat sehr bewegten Jahr war die erste Hälfte und insbesondere das zweite Quartal das schwierigste Kapitalmarktumfeld seit Langem. Insofern war das Umfeld ab Juli zwar immer noch schwierig, aber relativ gesehen doch etwas weniger fordernd. Die Herausforderung gerade in der ersten Hälfte lag vor allen Dingen darin, dass sowohl Aktien als auch Renten sehr stark gelitten hatten. Insofern habe ich mit meinem Team erst einmal analysiert, was in unseren Produkten gut und was weniger gut gelaufen ist und bei Bedarf entsprechende Adjustierungen durchgeführt.
Insbesondere die Frage, wie weit die Inflation und der Zinserhöhungspfad der Zentralbanken noch gehen, hat uns beschäftigt. Man darf nicht vergessen, dass diese Themen Haupttreiber für die Wertentwicklung im Jahr 2022 waren. Wir erleben gewissermaßen Historisches. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir eine solche Inflationsentwicklung nicht gesehen. Nun erhöhen die Notenbanken nach einer langen Phase der Niedrig- bzw. Negativzinsen die Zinsen und reduzieren fast gleichzeitig ihre Anleihekaufprogramme beziehungswiese ihre aufgeblähten Bilanzen. Die geopolitischen Risiken haben sich insbesondere durch den Krieg in der Ukraine verstärkt und die Globalisierung der Lieferketten wird in Frage gestellt. Damit gelten einige Gewissheiten der letzten Jahre nicht mehr.
Tiefe Zinsen und üppige Liquidität waren über viele Jahre ein wichtiger Treiber an den Märkten. Man kann es angesichts des heutigen Niveaus von über zwei Prozent leicht vergessen, aber die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe war zum Jahreswechsel 2021/22 noch negativ und bewegte sich erst Anfang des Jahres 2022 – nach mehr als zweieinhalbjähriger Tauchfahrt unter null – wieder ins positive Terrain.
Genau das macht das Kapitalmarktgeschäft so interessant, sich immer wieder neuen, auch unerwarteten Herausforderungen zu stellen. Wenn man dabei noch die Neuaufstellung eines Unternehmens mitgestalten darf, ist das unglaublich spannend.
Welche Herausforderungen und Chancen erwarten Sie im Jahr 2023? Und wie bereiten Sie sich im Team darauf vor?
Die Inflation dürfte sinken, aber im historischen Kontext erhöht bleiben. Der Zinserhöhungszyklus der Notenbanken sollte zu einem Ende kommen, die Wirtschaft aber auch in eine Rezession rutschen. Geopolitische Themen behalten bedauerlicherweise ihre Bedeutung. Insofern werden uns die Schwankungen an den Kapitalmärkten erhalten bleiben.
Die gute Nachricht ist zunächst, dass es wieder positive Renditen an den Rentenmärkten gibt. Die weniger gute: bei den aktuellen Inflationsraten ist ein realer Kapitalerhalt auch damit kaum möglich.
Die Anlageklasse Anleihen gewinnt aber trotzdem wieder an Bedeutung und auch der Bereich Multi Asset dürfte eine Renaissance erleben. Viele Anleger haben sich im Niedrigzinsumfeld in Anlageklassen bewegt, die nicht unbedingt ihrem Risikoprofil entsprechen. Das könnte sich jetzt umkehren, erhöht aber auch die Schwankungsanfälligkeit.
Die Gewinnschätzungen für die Unternehmen haben in der heraufziehenden Rezession noch Anpassungsbedarf. In Europa bewegt sich die EZB weiter im Spannungsfeld der zum Teil sehr hohen Staatsschulden und der Notwendigkeit, die Zinsen zur Inflationsbekämpfung zu erhöhen. Gerne übersehen wird aber, dass Inflation vor allen Dingen den verschuldeten Staaten hilft. Durch den Anstieg des nominalen Bruttoinlandsprodukts sinkt die Schuldenquote ceteris paribus.
Anlagechancen bieten sich im Anleihebereich insbesondere bei Unternehmensanleihen. Die Aktienmärkte dürften noch anfällig für Schwankungen bleiben, aber Lichtblicke könnten ein Ende des Zinserhöhungszyklus, die weitere Öffnung Chinas nach den Lockdowns oder auch nach der Rezession wieder steigende Unternehmensgewinne sein.
Um den Herausforderungen gerecht zu werden, haben wir uns hier in Deutschland zum Jahresbeginn gezielt mit einem weiteren Mitarbeiter für den Bereich Multi Asset verstärkt und werden den Anlageprozess weiter verbessern. Zudem intensivieren wir im Rahmen unserer Neuaufstellung die Zusammenarbeit mit den Kollegen in der Schweiz, um die bestmögliche Expertise in unsere Produkte einfließen zu lassen.
Welche Sektoren sind im kommenden Jahr aus Ihrer Sicht besonders interessant?
Die große Rotation des Jahres 2022 war die von Growth in Value, nachdem Substanzwerte über viele Jahre das Nachsehen hatten. Dieser Trend dürfte in einem Umfeld hoher Inflation und höherer Zinsen noch anhalten. Höhere Zinsen begünstigen den lange vernachlässigten Bankensektor. In unserer Szenarioanalyse schließen wir eine Rezession nicht aus, gehen aber davon aus, dass der Rückenwind für Banken aufgrund der höheren Zinsen stärker ist als der Gegenwind von möglichen Kreditausfällen. Zusätzlich positiv ist, dass Banken nach der Coronakrise nun wieder Dividenden ausschütten und auch ihre eigenen Aktien zurückkaufen können. Die nun wieder positiven und weiter steigenden Zinsen sind ein bedeutender Faktor für den Sektor.
Der Rohstoffsektor stand in den letzten Monaten ebenfalls auf unserer Einkaufsliste. Der Corona-Lockdown in China und die sich anbahnende Rezession hatten zuletzt zu einem Preisverfall für sogenannte „Industriemetalle“ geführt und den Sektor belastet. Von einer Öffnung Chinas kann der ganze Sektor nun profitieren und einer der Gewinner 2023 werden. Insbesondere in der Wertschöpfungskette für Kupfer lohnt sich ein genauerer Blick auf die Unternehmen, denn die Kupfernachfrage hängt nicht mehr ausschließlich vom Wirtschaftswachstum ab, sondern erhält ein richtiges Konjunkturpaket durch die Energiekrise. Der Ausbau erneuerbarer Energien erfordert sehr hohe Mengen an Metall, das Strom gut leiten kann, und dies ist nun mal hauptsächlich Kupfer. Um eine Anekdote aus dem Goldrausch zu verwenden: Wir kaufen nicht das Gold, sondern die Hersteller von Schaufeln.
Aber auch der Energiesektor sollte nicht zu früh abgeschrieben werden. Die Unternehmen profitieren weiter von den hohen Preisen für Energie. Die OPEC+ hat aus ihren Fehlern gelernt und wird die Fördermenge notfalls stark begrenzen, um die Preise hoch zu halten. Zudem hat die gesamte Branche in den letzten zehn Jahren chronisch zu wenig investiert, sodass es schnell wieder zu einem Nachfrageüberhang kommen kann, von dem die Branche zusätzlich profitieren sollte. Wir glauben an die Transformation in der Branche hin zu mehr erneuerbaren Energien.
Zu guter Letzt sollten die langfristigen Perspektiven berücksichtigt werden und da kommt man am Sektor Gesundheit nicht vorbei. Demografie und Alterung der Gesellschaft seien als entscheidende Faktoren genannt. Zudem hat uns die Coronakrise vor Augen geführt, welches Innovationspotenzial in dem Sektor steckt. Kleinere spezialisierte Unternehmen treiben zahlreiche Entwicklungen voran und sind mit den daraus folgenden Gewinnaussichten interessante Anlageziele. Diversifikation ist gerade bei der Investition in kleinere Unternehmen wichtig.
Mit dem Bellevue Option Premium haben sie vor kurzem ein neues Produkt lanciert. Was zeichnet dieses Produkt aus?
Im Wesentlichen erzielt der Bellevue Option Premium (ISIN: DE000A3DEAK7) Erträge durch die Vereinnahmung von Optionsprämien. Gerade im eben beschriebenen Umfeld bietet dieser Fonds damit die Möglichkeit, bei schwankenden Kursen mit einem ausgewogenen Chance-Risiko-Profil Einnahmen zu generieren. Gegen eine starke Abwärtsbewegung ist das Produkt zwar nicht immun, wie das erste Halbjahr 2022 gezeigt hat. Durch die Konstruktion profitiert es aber bei steigenden, seitwärts laufenden und sogar bei leicht fallenden Märkten. Diesen Realitätscheck konnten wir im zweiten Halbjahr 2022 erleben. Das Jahr 2023 dürfte bei den vielen Unwägbarkeiten und angesichts der vorhin erwähnten besonderen Situation des starken Inflations- und Zinsanstiegs von einer Richtungssuche an den Aktienmärkten geprägt sein, was tendenziell ein gutes Umfeld für dieses Produkt ist.
Herr Heinz, vielen Dank für diese interessanten Einblicke!
Investmentfonds unterliegen Kursschwankungen. Damit sind Kursverluste bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals möglich. Bei Wertpapieren, die nicht in Euro notieren, sind zudem Währungsverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Allein verbindliche Grundlage des Kaufs eines Investmentfonds sind die derzeit gültigen Verkaufsunterlagen („Basisinformationsblatt“, Verkaufsprospekt sowie Jahres- und Halbjahresberichte, soweit veröffentlicht). Diese Unterlagen, die in englischer und/oder deutscher Sprache vorliegen, erhalten Sie unter /fonds/de000a3deak7/ oder direkt beim Emittenten. Dieser Text dient ausschließlich Informationszwecken und stellt kein Angebot, keine Aufforderung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.