FondsDISCOUNT.de: Der Fonds Bethmann Nachhaltigkeit (ISIN: DE000DWS08X0) setzt Nachhaltigkeitskriterien in der Titelauswahl ein. Arbeiten Sie mit einem externen ESG-Dienstleister zusammen, welche konkreten Strategien (z.B. Ausschluss, Impact, Grenzwerte) kommen zur Anwendung?


Reinhard Pfingsten: Wir verfolgen einen dreistufigen Investment-Prozess. Im ersten Schritt schließen wir Branchen und auch Staaten aus, die nicht unseren Nachhaltigkeitskriterien entsprechen; beispielsweise Unternehmen aus den Bereichen Rüstung, Atomkraft, Pornografie, Glücksspiel und Kinderarbeit sowie Staaten, in denen die Todesstrafe angewendet wird. Ein Ausschluss erfolgt bereits, wenn ein Unternehmen mehr als fünf Prozent seines Umsatzes in dem jeweiligen Bereich erwirtschaftet.


Im zweiten Schritt verfolgen wir einen Best-in-Class Ansatz. Wir bewerten die möglichen Anlage-Kandidaten also im Vergleich zu ihrer Peer-Group. Im dritten Schritt greifen wir auf die Ressourcen des unabhängigen Research-Hauses Sustainalytics zu. Es analysiert und beurteilt mehr als 11.000 der weltgrößten Unternehmen, 165 Staaten und mehr als 100 Anleiheemittenten nach ESG-Kriterien. Damit möchten wir unseren Kunden ein Plus an Sicherheit ermöglichen. Indem wir anhand dieser Daten die tatsächliche Nachhaltigkeit eines Unternehmens analysieren, erkennen wir frühzeitig mögliche Risiken für den Unternehmenswert. Darüber hinaus haben wir 2011 einen unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirat gegründet. Dieser berät und kontrolliert uns und besitzt sogar ein Veto-Recht, wenn ihm ein Investment nicht geeignet erscheint.


Unterscheiden sich die ESG bzw. SDG-Screenings bei Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen – oder nutzen Sie ein einheitliches Schema?


Sustainalytics konzentriert sich auf die Analyse und Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken, die materielle Folgen für Unternehmen haben können. Somit kommt der Unternehmensführung – dem G in ESG wie Governance – eine besondere Bedeutung zu. Nur wenn das Management die Risiken im Bereich der Produkt- und Dienstleistungspalette aktiv reduziert und soziale sowie ethische Standards anerkennt, agiert das Unternehmen nachhaltig. Das Resultat der Bewertung, der ESG Risk Score, ermöglicht uns, das Nachhaltigkeits-Research in den Kontext klassischer Rendite-Risiko-Überlegungen zu stellen. Bei der Bewertung von Staaten stehen die Umsetzung von internationalen Vereinbarungen wie dem Kyoto-Protokoll und die Bewertung von Sanktionen im Vordergrund.


Mit Neste Oyi bildet ein finnischer Raffinerie- und Tankstellenbetreiber, der auch natürliche Kraftstoffe produziert, eine Ihrer Hauptpositionen. Können Sie anhand dieses Unternehmens Ihre Auswahlkriterien illustrieren?


Das lässt sich sehr gut anhand der drei skizzierten Schritte nachvollziehen: Neste Oyi fällt nicht unter unsere Ausschlusskriterien und steht innerhalb seiner Peer Group auf Platz 2 von 80 Mitbewerbern. Bei der Ermittlung des ESG Risk Scores werden neun Kriterien berücksichtigt, die unter anderem Corporate Governance, schonende Nutzung natürlicher Ressourcen sowie Arbeitsbedingungen betreffen. Daraus ergibt sich ein absoluter Score, der unsere Kriterien erfüllt: Die Risiken von Neste Oyi aus ESG-Perspektive sind erkannt und werden gut gemanagt.


Natürlich bilden wir neben einem nachhaltigen Anlageuniversum auch ein Universum nach „klassischen“ Kriterien. Aktuell rücken zudem Kriterien in den Vordergrund, die in Zeiten niedriger Zinsen gern vergessen werden: Wie gesund ist die Bilanz? Auch in diesem Punkt kann Neste punkten. Derzeit kommen 78 Prozent der operativen Einnahmen von Neste aus dem Bereich erneuerbare Produkte. Das Unternehmen ist Vorreiter für ein ökologisches Bewusstsein im Bereich der Ölraffinierung.


Ihr zweitgrößtes Invest ist ein niederländischer Chemiekonzern. Was macht Koninklijke DSM N.V besser als andere Chemieunternehmen?


DSM fokussiert sich klar im Bereich Ernährung: Rund 66 Prozent der Umsätze und rund 87 % des operativen Einkommens sind dieser Sparte zuzuordnen. Dort existiert unseres Erachtens ein großes Wachstumspotenzial für die kommenden Jahre, schließlich haben die Vereinten Nationen im Zuge ihrer „17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung“ dem Kampf gegen Hunger eine besondere Relevanz eingeräumt. Derzeit haben nur wenige Chemieunternehmen eine derart klare Fokussierung auf die Wachstumssegmente der Zukunft wie DSM.


Fördern Sie bestimmte SDGs gezielt – oder ergibt sich die Ausrichtung der Nachhaltigkeit im Fonds aufgrund der fundamentalen Daten der Unternehmen / Emittenten letztlich zufällig?


Auch dabei greift unser dreistufiger Nachhaltigkeitsansatz. Am anspruchsvollsten ist sicher die Ermittlung des ESG Risk Scores: je zukunftsfähiger das Geschäftsmodell und somit die Produkt- und Dienstleistungspalette eines Unternehmens, desto geringer seine Nachhaltigkeitsrisiken. Der Bau von Windturbinen wird dabei positiver bewertet als die Förderung von Erdöl. Somit bilden wir die investierbaren Ziele der SDG indirekt ab. Schöne Beispiele dafür sind die Investments in Neste Oyi und DSM.


Zur aktuellen Lage: Wie sichern Sie das Sondervermögen derzeit gegen weitere Verluste ab – und nach welchen Kriterien entscheiden sie zu gegebener Zeit z.B. die Aktienquote wieder aufzustocken?


Bei der Aktienquote sind wir aktuell auf Augenhöhe mit der Benchmark. Durch unsere Portfoliokonstruktion und Aktienauswahl haben wir sowohl im März als auch im 1. Quartal 2020 einen attraktiven Mehrwert geniert. Aktuell beobachten wir unter anderem folgende Eckpfeiler: Entwicklung des Corona-Zyklus, Erweiterung der Angebotskapazitäten in der Wirtschaft, Entwicklung der Konsumnachfrage in Verbindung mit der Arbeitslosenquote, Ausschöpfung der fiskal- und notenbankpolitischen Maßnahmen, Sentiment der Wirtschaft und der Kapitalmärkte sowie Entwicklung der Erwartungen für die Unternehmensgewinne im Gesamtjahr. Wir gehen davon aus, dass die heutige Schockstarre erst Mitte 2021 vollständig überwunden sein und das Wachstum auf Trendniveau anziehen wird. Dabei werden wir natürlich Chancen nutzen, die sich ergeben.


Welche Entwicklung erwarten Sie auf dem Anleihemarkt? Werden die diskutierten Emissionen zur Finanzierung der Hilfen in der Coronakrise die Zinsen spürbar steigen lassen – und was bedeutet das für Ihr Anleihenportfolio?


Der Anleihemarkt preist ein neues Gleichgewicht der aktuellen Situation ein. Dieses hängt unmittelbar von der Europapolitik ab. Der Fokus der Anleger ist auf die peripheren Staaten Italien, Spanien, Portugal und auch Frankreich gerichtet, die am stärksten von der Krise betroffen sind. Wir gehen davon aus, dass infolge der Corona-Krise das Volumen an staatsnahen Anleihen bzw. Staatsanleihen deutlich zunehmen und somit auch die Eigenschaften relevanter Benchmarkindizes verändern wird. Ein spürbares Ansteigen der Rendite deutscher Staatsanleihen sehen wir nicht, da die EZB bis auf weiteres aktiv bleiben wird. Wir gehen davon aus, dass Bundesanleihen durch Bonitätsherabstufungen verschiedener Euroländer immer mehr als sicherer Hafen gesehen werden.


Vielen Dank für dieses Interview!