Das Anlagevolumen in nachhaltige Investmentfonds und Mandate in Deutschland hat sich von 69 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf über 410 Milliarden Euro im Jahr 2021 versechsfacht – und das mit gutem Grund. Ja, die Marktwirtschaft ist frei. Doch Freiheit soll nicht von Verantwortung befreien. Damit ist gemeint, dass es mit zu unserer Verantwortung gehört, eine lebenswerte und -fähige Umgebung für die nächsten Generationen zu hinterlassen. Bei kurzfristigen Geschäftsentscheidungen sind langfristige Kosten und Risiken für Umwelt sowie das soziale Gefüge – auch außerhalb der eigenen Unternehmung – zu berücksichtigen. ESG-Kriterien sind hierfür wichtige Leitlinien.
Was sind ESG-Kriterien?
ESG-Kriterien stellen einen Bewertungsmaßstab für Aktivitäten im Rahmen der Corporate Social Responsibility (CSR), also der gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung dar. Mit CSR sind alle freiwilligen Beiträge der Wirtschaft für eine nachhaltige Entwicklung gemeint, die über das gesetzlich angeordnete Maß hinausgehen.
Mithilfe der ESG-Kriterien kann man einordnen, wie ökologische, sozial-gesellschaftliche sowie eine gesunde Geschäftsführung betreffende Aspekte von Unternehmen berücksichtigt bzw. umgesetzt werden. Dies hat auch bei Firmenanalysen von Finanzdienstleistern Relevanz.
Die ESG-Kriterien wurden mit dem Green Deal 2019 von der Europäischen Union (EU) in die EU-Taxonomie-Verordnung aufgenommen, um nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der EU allgemeingültig zu klassifizieren. Sie sollen helfen, um das Ziel einer klimaneutralen Union bis 2050 zu erreichen. Die Kriterien sorgen für eine Vergleichbarkeit von Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit und bilden damit Chancen und Risiken eines Unternehmens für die Investoren dar. Sie werden mithilfe eines entsprechenden ESG-Ratings abgebildet, das von Rating-Agenturen und unabhängigen Institutionen erstellt wird.
Was bedeutet ESG genau?
ESG bedeutet ausgeschrieben Environmental, Social und Governance – also die Umwelt, Soziales und die Unternehmensführung betreffend. Den drei „Buchstaben“ werden zur näheren Erläuterung insgesamt zwölf Unterthemen zugeordnet.
Mit Environmental (Umwelt) ist vor allem gemeint, welchen Beitrag ein Unternehmen zur Erreichung der Klimaziele sowie der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele leistet. Hier werden Aspekte mit Bezug auf Emissionen und Klima, Materialien und Ressourcenknappheit, Energie und Wasser sowie den Lebenszyklus und die Lieferkette berücksichtigt.
Mit dem Aspekt Social (Soziales) soll überprüft werden, inwiefern die Unternehmung zu einem nachhaltig gesünderen, gerechteren und besseren Zusammenleben der Gesellschaft beiträgt. Darunter fallen die Themen Sicherheit und Gesundheit, Menschrechte, Diversität und Chancengleichheit sowie Arbeitsbedingungen und Entlohnung.
Durch den Punkt Governance (Unternehmensführung) soll geprüft werden, ob das Unternehmen offen und transparent agiert, und, inwiefern die Unternehmensziele mit Umwelt- bzw. sozialen Aspekten sowie einer gesunden Unternehmensführung verbunden werden. Dazu gehören als Unterpunkte Unternehmenskultur und Ethik, Compliance, Steuerung und Dokumentation sowie Korruption.
Warum sind ESG-Kriterien wichtig für Unternehmen und Anleger?
Man könnte meinen, für Unternehmen sei die Implementierung von ESG-Kriterien unattraktiv, da sie durch diese wirtschaftliches Wachstum zugunsten ökologischer sowie sozialer Entwicklung zurückstecken müsste. Aber stimmt das wirklich?
Die Antwort muss „Nein“ lauten. Denn die Berücksichtigung der ESG-Kriterien durch Wirtschaftsakteure trägt zum einen zu einer nachhaltigeren Entwicklung von Menschheit, Umwelt und Wirtschaft bei. Schließlich verlieren wirtschaftliche Gesichtspunkte an echtem Wert, wenn sie die Zukunft von Menschen und Planet fragil machen. Auch wenn die Implementierung von ESG-Kriterien im ersten Moment eine Herausforderung für Unternehmen darstellen kann, können sie damit zugleich ein großes Potenzial umsetzen und sich nachhaltig und verantwortungsbewusst für die eigene Zukunft aufstellen. Wer jetzt bspw. in erneuerbare Energien, sichere Produktionsstätten, eine friedliche Unternehmenskultur oder die Reduzierung von Abfall investiert, kann sicherer und nachhaltiger wachsen und künftig sogar Kosten einsparen.
Darüber hinaus erzielen Unternehmen durch die aktive Umsetzung der ESG-Kriterien eine Minimierung potenzieller Risiken für den Geschäftsbetrieb und ihre Reputation. Denn alle ESG-Faktoren können sich bei Missachtung kurz- und langfristig negativ auf ein Unternehmen auswirken. Umgekehrt zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, dass hier sehr wohl eine Nachfrage für nachhaltige Investitionen vorliegt. Anleger haben mit ESG-Kriterien und entsprechenden Scores die Möglichkeit, in Unternehmen zu investieren, die ihre Werte vertreten – und für viele Anleger werden ESG-fokussierte Investitionen attraktiver. Allein 2021 wuchsen die Vermögenswerte nachhaltiger Fonds weltweit von 1,3 Billionen US-Dollar im Vorjahr auf knapp 4 Billionen US-Dollar an. Hier ergibt sich damit auch ein großes Potenzial, bei Anlegern mit idealistischen Werten und Zukunftsaussichten im Sinne der Gemeinschaft zu punkten und das Unternehmensansehen zu steigern.
Kostet Nachhaltigkeit in der Anlage Rendite?
Nachhaltigkeit als entscheidenden Parameter einer Investitionsentscheidung heranzuziehen, macht die Anlage zunächst komplexer. Für Anleger wichtige Bewertungen wie Risiko, Rendite und Liquidität werden um den Nachhaltigkeitsaspekt ergänzt.
Dass die Implementierung von ESG-Faktoren die Attraktivität einer Anlage – insbesondere die Rendite – negativ beeinflusst, ist jedoch anhand der Datenlage zu verneinen.
Zu diesem Ergebnis kamen auch die Wissenschaftler Gunnar Friede, Dr. Timo Busch und Dr. Alexander Bassen in ihrem „Journal for Sustainable Finance & Investment“ (Zeitschrift für nachhaltige Finanzen & Anlagen), in dem sie 2000 empirische Studien zusammengefasst haben. Sie konnten sogar einige Bereiche identifizieren, in denen eine ESG-Fokussierung die Chance zur Outperformance – also einer überdurchschnittlich starken Rendite – hat. Auch Gordon Clark, Andreas Feiner und Michael Viehs kamen bei ihrer Oxford-Meta-Studie „From Stockholder to the Stakeholder: How Sustanability Can Drive Financial Outperformance“ (Von Aktionär zu Anspruchsträger: Wie Nachhaltigkeit die finanzielle Leistung steigern kann), bei der sie über 200 Primärquellen verglichen, zu ähnlichen Ergebnissen.
Auch in Anbetracht der oben erörterten Vorteile von ESG-Faktoren für Unternehmen gibt es also keinen Grund, warum ESG-Investitionen Ihre Renditechancen verringern sollten.