Stakeholder-Kapitalismus für optimale Kapitalverwendung
Das alles hört sich einigermaßen politisch an, weswegen Fink sich beeilt zu betonen, dass seine Überlegungen rein auf die Optimierung der BlackRock-Investments abzielen: „Beim Stakeholder-Kapitalismus geht es nicht um Politik. Auch nicht um eine soziale oder ideologische Agenda. Er ist auch nicht „woke“. In einer global vernetzten Welt müsse ein Unternehmen für alle seine Stakeholder Werte schaffen und gleichzeitig deren Wertschätzung erhalten. „Ein wirksamer Stakeholder-Kapitalismus ermöglicht eine optimale Kapitalverwendung, dauerhaft rentable Unternehmen sowie eine langfristige Schaffung von Werten und deren Erhalt.“ In dieser Dialektik müssen Unternehmen und deren Lenker Position beziehen, befindet Fink: „Nie war es für CEOs von größerer Relevanz, Position zu beziehen und einen klar definierten Unternehmenszweck, eine kohärente Geschäftsstrategie sowie eine langfristige Perspektive zu haben. Ihr Unternehmenszweck ist der Nordstern, der zentrale Fixpunkt, an dem Sie und Ihr Unternehmen sich in diesen turbulenten Zeiten orientieren können.“ Das bedeute nicht, zu jedem Tagesthema seinen Senf dazuzugeben. Aber Stakeholder müssten wissen, welchen Standpunkt Unternehmen mit Blick auf wichtige gesellschaftliche Fragen vertreten, die wesentlich für den langfristigen Erfolg der Unternehmen sind.
Sehr prominent geht Fink das Thema Human Resources in seinem Brief an. In den USA und Großbritannien sei die Kündigungsrate auf einem neuen Höchststand. Zudem steigen die Löhne in den Vereinigten Staaten derzeit so rasant wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dass Arbeitnehmer neue Chancen ergreifen, sei gut, denn es zeige, dass sie Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung haben. Rund um den Globus erwarten Beschäftigte heute mehr von ihren Arbeitgebern, analysiert der BlackRock CEO – darunter mehr Flexibilität und eine sinnstiftendere Tätigkeit. Seine Einschätzung zur herkömmlichen nine-to-five-Arbeitswelt: „Diese Welt ist Geschichte.“ Analysen würden zeigen, dass Firmen mit einer starken Mitarbeiterbindung während der Pandemie von geringerer Fluktuation und höherer Rentabilität profitiert haben. Fluktuation treibt die Kosten in die Höhe und schmälert die Produktivität. Sie untergräbt die Unternehmenskultur und das Bewahren von Firmenwissen. CEOs müssen sich fragen, ob sie ein Betriebsumfeld schaffen, das im Wettbewerb um Talente hilfreich ist. Was können Anleger daraus lernen? In jedem Fall wird das „G“ in ESG, also die gute Governance, die gute Unternehmensführung, bei der Investitionsanalyse stärkeres Gewicht erhalten. Fink gibt konkrete Fragestellungen an die Hand: Was tun Sie, um die Bindung zu Ihren Mitarbeitern zu stärken? Wie gewährleisten Sie, dass sich Ihre Beschäftigten unabhängig von ihrem Hintergrund in Ihrem Unternehmen sicher genug fühlen, um ihre Kreativität, Innovationsfähigkeit und Produktivität voll auszuschöpfen? Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Aufsichtsgremium diese wichtigen Themen im Blick hat? Wie passt sich Ihre Firmenkultur an diese neue Arbeitswelt an?
Kapitalismus und Nachhaltigkeit
Auch zum „E“ in ESG hat Fink eine klare Analyse: „Kaum etwas wird mehr Einfluss auf die Kapitalallokation haben – und damit den langfristigen Wert Ihres Unternehmens – als die Frage, wie gut Sie die Herausforderungen der weltweiten Energiewende in den nächsten Jahren meistern werden“ schreibt er an die CEOs. Binnen zwei Jahren sei es zu einer fundamentalen Umverteilung von Kapital gekommen. Nachhaltige Anlagen haben inzwischen die Schwelle von vier Billionen US-Dollar erreicht. Die Anstrengungen zur Dekarbonisierung wurden in diesen zwei Jahren intensiviert und die Ziele höhergesteckt. Aber: „Das ist erst der Anfang. Die tektonische Kapitalverschiebung hin zu nachhaltigen Anlagen nimmt weiter an Fahrt auf. Ob es sich um Kapital für innovative Vorhaben im Energiesektor handelt oder um Vermögen, das aus traditionellen Indexprodukten in maßgeschneiderte Portfolios und Produkte umgeschichtet wird: Immer mehr Geld wird in Bewegung kommen.“
Fink nennt E-Mobilität als ein Beispiel, dies sei aber nur die Speerspitze, „denn neue, nachhaltige Technologien werden auch alle anderen Branchen von Grund auf verändern.“ Er zeigt sich überzeugt, „dass mit der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft die größte Anlagechance unserer Zeit einhergeht. Zugleich wird diese Entwicklung jene Unternehmen zurücklassen, die sich nicht anpassen, ganz gleich, in welcher Branche sie tätig sind.“ Die Investmentchancen ergeben sich vor allem bereits im vorbörslichen Bereich: „Die nächsten 1.000 „Einhörner“ werden weder Suchmaschinen noch Social-Media-Unternehmen sein, sondern nachhaltige, anpassungsfähige Innovatoren: Start-ups, die Lösungen für den Verzicht auf fossile Brennstoffe entwickeln und die Energiewende für alle erschwinglich machen.“ Also schnell und möglichst bedingungslos raus aus allen fossilen Firmen? Nein, warnt Fink: Nicht nur junge, innovative Unternehmen können und werden ganze Branchen auf den Kopf stellen, sondern auch herkömmliche Unternehmen mit dem Mut zur Veränderung, denn „tatsächlich verfügen viele etablierte internationale Firmen über einen Vorteil, wenn es um das für die bevorstehenden Umwälzungen benötigte Kapital, Marktwissen und technische Know-how geht. Unsere Frage an diese Unternehmen lautet daher: Was tun Sie für bahnbrechende Neuerungen in Ihrem Geschäft? Wie bereiten Sie sich auf den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft vor und welchen Beitrag leisten Sie? Was bedeuten die grundlegenden Veränderungen, die die Energiewende für Ihre Branche mit sich bringt, für Ihr Unternehmen?“
BlackRock habe Nachhaltigkeit nicht ins Zentrum des Handelns gerückt „weil wir nicht Umweltschützer, sondern weil wir Kapitalisten sind“, so Fink. Er fordert Unternehmen unter anderem dazu auf, sich kurz-, mittel- und langfristige Ziele für die Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen zu setzen. „Aus diesem Grund bitten wir Sie auch, Berichte gemäß den Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) zu erstellen: „Sie sind unseres Erachtens wichtige Instrumente, um beurteilen zu können, ob ein Unternehmen zukunftsfähig ist.“ Das ist höflich formuliert, in der Sache aber knallhart: Unternehmen, die nicht einschlägig berichten, werden es künftig kaum mehr als auf eine shortlist für einen BlackRock-Fonds schaffen.
Klimaneutralität mit unterschiedlichem Tempo
Der Übergang zur Klimaneutralität werde im Übrigen nicht überall gleich, sondern in verschiedenen Wirtschaftsbereichen und Ländern mit unterschiedlichem Tempo vollzogen. Es werde einen Übergang von CO2-intensiven Brennstoffen über weniger klimaschädliche hin zu klimaneutralen Technologien geben. Um etwa eine bezahlbare Energieversorgung während des Übergangs zu gewährleisten, werden in bestimmten Regionen fossile Brennstoffe wie Erdgas sowohl bei der Stromerzeugung und Wärmegewinnung als auch für die Wasserstoffherstellung weiter eine zentrale Rolle spielen. Kapital aus ganzen Branchen abzuziehen oder die Finanzierung CO2-intensiver Anlagen einfach von den öffentlichen in die Privatmärkte zu verlagern, werde die Welt nicht zum Netto-Null-Ziel führen. BlackRock verfolgt deshalb nicht die Strategie, generell aus allen Öl- und Gasunternehmen auszusteigen. „Einige unserer Kunden entscheiden sich, ihre Gelder aus diesen Branchen abzuziehen, andere lehnen dies hingegen ab. In vielen CO2-intensiven Branchen gibt es vorausschauende Unternehmen, die ihr Geschäft transformieren und damit einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft leisten. Wir sind davon überzeugt, dass die Firmen, die den Wandel anführen, unseren Kunden enorme Anlagechancen bieten“, outet er sich als Anhänger der Transformers-Strategie. Beim Stakeholder-Kapitalismus gehe es darum, langfristig beständige Renditen für die Aktionäre zu erwirtschaften. Transparenz zu den Plänen eines Unternehmens auf dem Weg in eine klimaneutrale Welt spielt dabei eine wesentliche Rolle. „Als Verwalter des Kapitals unserer Kunden erwarten wir von Unternehmen, dass sie ganzheitlich zeigen, wie sie der Verantwortung gegenüber ihren Aktionären gerecht werden. Und das nicht zuletzt durch solide Verfahren und Leitlinien in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, kurz ESG.“
Fazit
Es dürfte schon deshalb eine gute Idee sein, den Anteil nachhaltiger Unternehmen, die nachweislich zur Decarbonisierung beitragen, im Portfolio zu erhöhen, einfach weil namhafte Mittelzuflüsse in diesen Bereich Preise steigen lässt. Besonders interessant an Finks Brief ist in diesem Jahr aber die Betonung guter Governance. Das mag zu einem gewissen Teil als Nachwehen der Verwerfungen der Trump-Ära sehr USA-bezogen sein. Aber generell dürfte ein Screening der Governance-Qualität eines Unternehmens – Stichworte equal pay, Diversität, executive remuneration mit ESG-Komponente, Incentives und viele weitere – ein lohnender Ansatz im Selektionsprozess sein.