FondsDISCOUNT.de: Frau Professor Dr. Sachse, zunächst ganz allgemein gefragt: Was hat Börse mit Psychologie zu tun?


Katharina Sachse: An der Börse treffen unterschiedliche Erwartungen aufeinander. Manche erwarten, dass die Kurse bestimmter Aktien steigen werden und fragen deshalb diese Aktien nach, d.h. sie sind bereit, einen bestimmten Preis dafür zu zahlen. Andere nehmen hingegen an, dass diese Aktien im Wert fallen werden und sind daher bereit, sie zu eben diesem Preis zu veräußern. So entstehen die Aktienkurse durch Angebot und Nachfrage. Man könnte nun annehmen, dass diese unterschiedlichen Erwartungen auf zuverlässigen Informationen beruhen und der Kauf und Verkauf von Aktien somit auf rationalen Überlegungen fußt. Tatsächlich gibt es aber zahlreiche Hinweise darauf, dass es hierbei zu systematischen Urteils- und Entscheidungsfehlern oder Verzerrungen kommt. Ein Beispiel ist der sog. Herdentrieb. In einer Situation, in der uns das Wissen, die Lust oder die Zeit fehlt, sämtliche verfügbaren Informationen zu nutzen und zu integrieren, orientieren wir uns an dem, was andere tun. Sind wir beispielsweise in einer fremden Stadt auf der Suche nach einem guten Restaurant, gehen wir lieber in eins, das von vielen Gästen besucht ist als in ein anderes, das zur besten Zeit vollkommen leer ist. Diese Orientierung am Verhalten anderer ist oft sinnvoll, da es kognitiven Aufwand reduziert und vermeidet, dass man selbst durch Versuch und Irrtum die richtige Option finden muss. An der Börse führt dieser Herdentrieb dazu, dass sich Preisschwankungen potenzieren können. Zunächst kaufen einige wenige – auf Basis ihrer wahrscheinlich durch Informationen gut begründeten Erwartung – eine bestimmte Aktie, was zu einer Steigerung des Kurses führt. Andere springen dann – ohne diese fundierten Informationen – auf diesen Zug auf, der Kurs steigt weiter. Das kann eine ganze Weile so weitergehen und bis hin zu Spekulationsblasen wie der Dotcom-Blase Ende der 1990er führen, bei der die Aktienkurse vieler Internetunternehmen deren tatsächlichen Unternehmenswert um das Vielfache überstiegen – bis die Blase platzte und diejenigen, die der Herde erst recht spät folgten, große Verluste erlitten.


Die Börse spiegelt also schlussendlich menschliches Verhalten wieder. Die Psychologie bietet Beschreibungen und Erklärungen, in welchen Situationen bzw. aus welchen Gründen dieses Verhalten von rationalen Annahmen abweicht.  Daraus entwickelte sich in den letzten ein eigener Forschungszweig, die Verhaltensökonomie bzw. Behavioral Finance.


Angesichts der derzeitigen Höhenflüge bei Dax & Co.: Welche Emotionen herrschen denn bei den Privatanlegern vor? Überwiegt der Optimismus oder doch eher die Angst vor einer Kurskorrektur?


Würde die Angst überwiegen, müsste sich dies in fallenden Kursen äußern. Denn dann würden viele Anleger ja verkaufen. Da die Kurse stabil bleiben bzw. sogar weiter steigen, zeigt sich darin, dass der Optimismus zu überwiegen scheint.


Was sagen Ihre Forschungsergebnisse: Welche Persönlichkeitseigenschaften machen erfolgreiche Investoren aus?


Ich selbst habe nicht zur Persönlichkeit von Privatanlegern geforscht. Die Erkenntnisse anderer Wissenschaftler zeigen, dass Menschen mit einer hohen Gewissenhaftigkeit bessere Anlageentscheidungen treffen. Sie gehen bei ihren Entscheidungen eher analytisch vor und sind der Überzeugung, dass sie die Kontrolle über ihre finanziellen Geschicke haben. Außerdem sind sie weniger anfällig, kurzfristige Gewinne mitzunehmen, da sie geduldiger sind und Belohnung aufschieben können. Dies bezeichnet man auch als Selbstdisziplin.


Gleich nachgefragt: Kann man diese Eigenschaften „erlernen“ oder gibt es einfach geborene Gewinnertypen?


Zunächst würde ich den Begriff „Gewinnertypen“ relativieren, da Erfolg an der Börse ja nicht nur von der Persönlichkeit des Anlegers abhängt. Wenn wir das Merkmal Selbstdisziplin genauer betrachten, zeigt sich aber schon, dass Menschen mit einer hohen Ausprägung durchschnittlich mehr Erfolg im Leben haben als Menschen mit geringer Selbstdisziplin. Das gilt sowohl in finanziellen Dingen als auch in Beruf und Privatleben.


Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle ist vermutlich – wie andere Persönlichkeitsmerkmale auch – zu einem gewissen Teil angeboren. Das heißt aber nicht, dass wir Opfer unserer Gene sind. Durch Erfahrungen wie Erziehung und Übung lässt sich die Selbstdisziplin trainieren. Das gelingt zum Beispiel durch klare Regeln. Ich kann mir vornehmen, dass ich jeden Monat zunächst einen Teil meines Einkommens in die Altersvorsorge stecke, bevor ich Geld für kurzfristiges Freizeitvergnügen ausgebe. Wenn mir dies eine Weile gelingt, z.B. durch einen automatischen Sparplan, wird es zur Gewohnheit und fällt mir schließlich leichter.


Es gibt keine Kapitalanlage ohne Risiken, dennoch sind manche Anleger mutiger als andere. Ist eine erhöhte Vorsicht im Niedrigzinszeitalter nicht eher hinderlich?


Menschen unterscheiden sich in ihrer Freude am Risiko. Manche genießen den Nervenkitzel bei riskanten Aktivitäten bzw. in Situationen, bei denen es um Gewinn und Verlust geht, für andere sind diese Situationen sehr unangenehm und sie versuchen sie zu vermeiden. Dies zeigt sich auch in unterschiedlichen neuronalen Mustern. Hier ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass die Risikobereitschaft abhängig vom Bereich ist. Nur weil jemand den Nervenkitzel beim Fallschirmspringen liebt, muss er oder sie nicht auch bei finanziellen Entscheidungen das Risiko suchen. Versuche, die Risikoneigung von Anlegern mittels Fragen nach deren bevorzugten Freizeitaktivitäten zu erfassen, sind daher ungeeignet.


Anleger, die finanzielle Risiken scheuen und daher in sichere Anlageformen wie Festgeldkonten und Bausparverträge investieren, haben in den heutigen Niedrigzinszeiten durchaus finanzielle Nachteile. Allerdings würden sie sich mit riskanteren Optionen eher unwohl fühlen. Daher muss man abwägen was einem wichtiger ist: Psychisches Wohlbefinden oder die Chance auf größere Erträge? Helfen könnte diesen risikoaversiven Anlegern eine Strategie, bei der sie nur sog. „Spielgeld“, also Geld, das sie nicht für die künftige Ausbildung der Kinder, den geplanten Hauskauf oder andere Lebensziele benötigen, in risikoreiche Anlageformen investieren.


Was wird eigentlich nachhaltiger wahrgenommen: Ein Verlust oder ein Gewinn?


Verluste wiegen psychisch schwerer als Gewinne, d.h. die Freude über den Gewinn von 1.000 Euro bei Aktie A gleicht den Ärger über den Verlust von 1.000 Euro bei Aktie B nicht komplett aus. Dies ist eine der Kernannahmen der Prospect Theorie, die von Daniel Kahneman und Amos Tversky entwickelt wurde und für die Kahneman 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. So kann auch erklärt werden, warum Anleger, die seltener nach ihrem Portfolio schauen weniger „leiden“ als diejenigen, die häufig schauen. Wenn ich täglich die Wertentwicklung verfolge, sehe ich viel mehr Ups and Downs. Da die Downs subjektiv schwerer wiegen als die Ups, bleibt in der Summe eine negative Empfindung, selbst wenn sich der eigentliche Wert gar nicht verändert.


Wie fällt es leichter, mit finanziellen Verlusten umzugehen?


Hier gibt es unterschiedliche Strategien. Manche gehen problemorientiert vor. Sie analysieren, wie es zu dem Verlust gekommen ist und überlegen, wie sie diesen begrenzen können und wie sich das künftig vermeiden lässt. Das fällt natürlich leichter, wenn das Problem prinzipiell kontrollierbar und nicht das gesamte Ersparte betroffen ist. Bei einer Bankenpleite wie damals bei Lehman Brothers ist das hingegen kaum möglich.


Eine andere Strategie ist der sog. emotionsorientierte Umgang. Hierbei wird nicht das Problem an der Wurzel gepackt, sondern versucht, die damit einhergehenden negativen Emotionen zu vermeiden. Ich rede mir dann beispielsweise ein, dass Geld nicht alles im Leben ist oder lenke mich ab, um nicht mehr an den Verlust zu denken.


Prinzipiell gilt, dass Aktienverluste oft zu lange ausgesessen werden. Bei Aktien, die unterhalb unseres Kaufpreises liegen, hoffen wir, dass diese wieder steigen werden. So müssen wir den Verlust (noch) nicht realisieren und vermeiden die unangenehmen Gefühle, die damit verbunden wären. Manchmal haben wir Glück und die Aktie steigt tatsächlich wieder. Dann verkaufen wir meist vorschnell, um den kleinen Gewinn mitzunehmen. Manchmal fällt die Aktie aber weiter und weiter. Trotzdem halten wir sie meist anstatt sie irgendwann doch zu verkaufen. Auch diese Anomalie wurde im Rahmen der Verhaltensökonomie vielfach nachgewiesen und zeigt einmal mehr, wie eng Börse und Psychologie zusammenhängen.


Frau Professor Dr. Sachse, herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!


Die gebürtige Erfurterin Katharina Sachse lehrt seit dem Wintersemester 2013 als Wirtschaftspsychologin am FOM-Hochschulzentrum Berlin. Ihre Forschung beschäftigt sich zum Beispiel mit der Risikowahrnehmung privater Kapitalanleger.